Lesehalbzeit im Dezember 2021

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Ein absolutes Highlight ist „Ein Ort, der sich Zuhause nennt“ von Astrid Ruppert. – Der 3. Teil der Winterfrauen-Trilogie erzählt von Charlotte Winters Lebensweg während der Nazizeit und wie sie es schaffte, sich danach eine neue Existenz aufzubauen, indem sie alles Erlebte, eine vermeintliche Schuld sowie eine große Liebe verdrängte und zu vergessen suchte. Es ist eine ziemlich traurige Geschichte, die Tochter Paula und Enkelin Maya erfahren, nachdem ein ihnen unbekannter Mann namens „Muck“ bei der neunzigjährigen Charlotte auftaucht und die Mutter/Großmutter endlich ihr jahrzehntelanges Schweigen bricht und über ihre Vergangenheit berichtet. Und endlich können Paula und Maya verstehen, warum sie beide so sind wie sie sind. Es fehlten einfach die Gespräche zwischen Müttern und Töchtern, die wichtig sind für die Entwicklung der Kinder. Sowohl zwischen Charlotte und Paula, wie später zwischen Paula und Maya. Immer wurde Wesentliches totgeschwiegen. Eine tief bewegende Geschichte und oft hatte ich beim Lesen Tränen in den Augen.

Gelateria Paradiso“ von Stefanie Gerstenberger. – Im Jahr 2018 will Francesca Adler die Auflösung der Eisdiele ihrer Eltern abwickeln als Schreinerin Susanne Werner auftaucht. Sie will günstig alte, restaurierbare Möbelstücke erwerben. Als die Frauen auf alte Fotos stoßen, wird ihnen klar, dass sie Halbschwestern sein müssen. Wie die beiden fünfzigjährigen Damen nach verständlichen Anfangsschwierigkeiten doch zueinander finden und den alten Vater in Italien kurz vor dessen Tod wiedersehen, ist flüssig geschrieben, kurzweilig und flott zu lesen. Ein bisschen Italienfeeling, aber auch eine Prise Gesellschaftskritik. Wie man in den 1960er Jahren italienische Gastarbeiter behandelte, hat mich doch schockiert. „Kein Zutritt für Italiener“ stand damals oft an Gaststätten und Beschimpfungen wie „Itaker“ oder „Spaghettifresser“ waren an der Tagesordnung. Bis heute hat sich nicht viel verändert, außer dass die Adressaten der Beschimpfungen andere Nationalitäten haben.

Mit „Requiem am Comer See“ von Clara Bernardi (Pseudonym von Julia Bruns) blieb ich in Bella Italia, Traumland der Deutschen. Doch sehr beliebt sind die „Kartoffelfresser“ nicht überall. Als eine in die Jahre gekommene deutsche Exopernsängerin im kleinen Dorf Abbadia Lariana ermordet wird, steht der halbe Ort unter Verdacht, da die meisten Männer ein Gspusi mit der Getöteten hatten. Auch deren Frauen könnten es gewesen sein. Doch Commissario Giulia Cesare glaubt an ihre Schäfchen und mit Hilfe des örtlichen Briefträgers Brutus findet sie den wahren Täter. Leicht, unterhaltsam, humorig und trotzdem spannend. Kann man lesen und sich an schöne Tage an den oberitalienischen Seen erinnern. Oder an den nächsten Urlaub denken. Nach Corona.