Zum 150. Geburtstag Piet Mondrians – Die Evolution der Abstraktion in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

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Piet Mondrians Geburtstag jährt sich 2022 zum 150. Mal. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen nimmt dies zum Anlass, ihn und seine Kunst in einer umfassenden
Ausstellung zu würdigen. Viele kennen Piet Mondrian (1872-1944) als Maler von
strengen geometrischen Kompositionen mit schwarzweißen Linien und Farbfeldern
in Rot, Blau oder Gelb. Dass der Niederländer in seinen ersten Jahrzehnten Landschaften und andere gegenständliche Motive wählte und diese oft mit überraschender Farbigkeit inszenierte, ist kaum bekannt. „Mondrian. Evolution“ zeigt ab
29.10.2022 anhand von 90 Werken den bemerkenswerten Weg Mondrians von den
frühen naturalistischen Gemälden bis zu den späten abstrakten Arbeiten und spürt
die formalen Zusammenhänge auf, die zwischen den Bildern aus fünf Jahrzehnten
bestehen.
In diesem Prozess spielt der Begriff der „Evolution“ eine zentrale Rolle. Für Mondrian bedeutet Evolution, experimentell Erfahrungen zu machen, um auf eine neue künstlerische
Stufe zu gelangen. Um dieses systematische Voranschreiten im Werk Mondrians zu zeigen, werden in der chronologisch gehängten Ausstellung Sichtachsen gebildet und auch
Werke unterschiedlicher Phasen gegenübergestellt. So hängt das impressionistische Gemälde „Leuchtturm in Westkapelle“, 1910, neben dem neoplastischen Werk „Komposition
in Blau und Weiß“, 1936, und macht die verblüffend stringente Entwicklung des Künstlers
sichtbar. Das Nebeneinander offenbart, dass Mondrian bereits in jungen Jahren ein Maler
mit einer fernen Vision war.
Mondrians künstlerische Wurzeln liegen im 19. Jahrhundert. Zu Beginn seiner Laufbahn
malte er im Stil der Haager Malerschule, die von Realismus und Impressionismus beeinflusst war. So entstanden vorwiegend holländische Motive, Interieurs und Landschaften unter grauen, regenverhangenen Wolken. Ein Bruch mit der akademischen Malerei fand um
1908 statt und wurde durch mehrere Faktoren eingeleitet wird: Zum einen ist es der Einfluss der Werke Vincent van Goghs und der Symbolismus Jan Toorops. Zum anderen sind
es die mystisch-religiösen Denkansätzen der Theosophie, die immer mehr Raum in Mondrians Denken einnehmen. Von Beginn seiner Laufbahn an ist der Künstler auf der Suche
nach einer Bildsprache, die das Universelle, das tiefste Wesen alles Bestehenden zum
Ausdruck bringt. Das Sichtbarmachen dieser geistigen Dimension in der Malerei entsteht
für ihn durch die vollkommene Balance aller Bildelemente. Den entscheidenden Schritt in
diese Richtung wagt Mondrian durch die Freundschaft zu den Malerinnen Jacoba van
Heemskerck und Marie Tak van Poortvliet, die mutig mit dem Eigenwert der Farbe experimentieren. In der Folge hellt sich auch Mondrians Palette auf, sein Duktus wird expressiver, freier und skizzenhafter.
Medien Mitteilung
12. September 2022
Stiftung Kunstsammlung
Nordrhein-Westfalen
Grabbeplatz 5
40213 Düsseldorf
+49 (0) 211 83 81 730
presse@kunstsammlung.de
Medien Mitteilung
12. September 2022
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Kurze Zeit später begegnet Mondrian in Paris 1911 dem Kubismus von Georges Braque
und Pablo Picasso. Diese revolutionären Bilder machen immensen Eindruck auf den fast
Vierzigjährigen. Die Folge ist, dass er seine Farbpalette radikal reduziert. Vor allem Grauund Ockertöne bestimmten jetzt den Gesamteindruck der Gemälde, und die Linie wird immer wichtiger. In einem Prozess, den man als organische Abstraktion bezeichnen kann,
entsteht in der Folge die berühmte Serie der Bäume. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs entwirft Mondrian großflächige, abstrakte Kompositionen, die die ursprünglichen Motive nur noch erahnen lassen.
Als es ihm während des Kriegs verwehrt wird nach Paris zu reisen, experimentiert er mit
landschaftlichen Motiven, es entstehen erneut Gemälde mit Bauernhöfen und Windmühlen.
Dieser Rückzug in die Figuration ist weniger eine Rückkehr zum Naturalismus, als vielmehr
die Überprüfung der organischen Abstraktion anhand gegenständlicher Motive.
Im Umfeld der Gruppe De Stijl und zeitgleich mit seiner Rückkehr nach Paris entwickelte er
als knapp Fünfzigjähriger radikal-abstrakte Bilder, deren Stil Mondrian Neoplastizismus
(Neue Gestaltung) nennt. Die erste theoretische Begründung seiner abstrakten Kunst erscheint 1920 in der Zeitschrift De Stijl. Diese neoplastischen Gemälde, die prinzipiell aus
den unendlichen Möglichkeiten der Kombination aus Weiss, schwarzen, im rechten Winkel
aufeinandertreffenden Linien, und den Grundfarben Rot, Gelb und Blau bestehen, prägen
Mondrians Ruhm bis heute. Sein Atelier an die rue du Départ 26, das er von 1920 bis 1936
bewohnt, wird zu einem legendären, häufig fotografierten Ort. Er richtet es nach den Prinzipien des Neoplastizismus ein, so dass es auf die Besucher*innen wie ein modernes begehbares Kunstwerk wirkt. Mondrians Lebensstil, seine Begeisterung für Jazz und sein unkonventioneller, offener Geist machen ihn zu einem der wichtigsten Protagonisten der Pariser
Avantgarde.
Mit dem Neoplastizismus scheint Mondrian Entwicklung an einem vorläufigen Endpunkt gekommen zu sein. Doch als Mondrian im September 1940 nach New York auswandert, ändert sich sein Stil ein weiteres Mal. Unter dem Eindruck der pulsierenden Metropole ist der
Künstler überzeugt, dass seine Werke mehr „Boogie-Woogie“ brauchen. Mondrian verdichtet nicht nur Fläche und Rhythmus bereits fertiger neoplastischer Werke, er entdeckt auch
das Montage-Band als modernes Arbeitsmaterial für sich. An die Stelle der schwarzen Liniengerüste und der Flächen aus Weiß und Primärfarben treten lebendigere, freiere Kompositionen aus roten, blauen und gelben Klebestreifen.
Verfolgt man die bemerkenswerte Entwicklung Mondrians in der Ausstellung, wird deutlich,
dass es wiederkehrende Konstanten in seinem Werk gibt: Zum einen, von Anfang an, ein
offensichtliches Interesse am Experimentieren mit Strukturen und Rhythmen einzelner Motive und Linien. Zum anderen hat Mondrian wohl schon früh die Auffassung gehabt, dass
Bilder bei den Betrachtenden die Vorstellung einer eigentlich unsichtbaren geistigen Dimension hervorrufen können. Und dann ist Mondrians Werk wohl grundsätzlich von der
Idee geprägt worden, sich vom Naturvorbild ausgehend durch fortschreitende Abstraktion
immer mehr auf das Essentielle des Bildes an sich zu konzentrieren, bis hin zu den abstrakten Bildern seiner späteren Jahre.
Medien Mitteilung
12. September 2022
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Die Ausstellung Mondrian. Evolution ist ein gemeinsames Projekt der Fondation Beyeler in
Basel und der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und entstanden in enger Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Den Haag. In der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen befinden sich vier neoplastische Werke Mondrians, die Werner Schmalenbach durch Vermittlung von Ernst Beyeler erwarb – Komposition mit Gelb (1930), Komposition mit Blau und
Weiss (1936), Rhythmus aus geraden Linien (1937-1942) in den frühen 1960er-Jahren –
und das berühmte New York City I (1941) mit zeitlichem Abstand im Jahr 1980.
Mit freundlicher Unterstützung des Königreichs der Niederlande.
Kuratorinnen: Kathrin Beßen, Susanne Meyer-Büser
Architektur
Die Ausstellungsarchitektur in der Kleehalle der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
wurde von dem Architekt*innenteam please don´t touch aus Dortmund entworfen.
Mondrian und seine Faszination für Jazzmusik
Malerei, Musik und Rhythmus gehen im Werk Mondrians eine enge Verbindung ein. Der
Künstler war ein begeisterter Jazzfan, der sich beim Malen von der Musik und deren
Rhythmus vor allem bei seinen abstrakten Werken inspirieren ließ. Die ersten neoplastischen Arbeiten, die zu Beginn der 1920er Jahre in Paris entstanden, waren vom Ragtime,
einem Vorläufer des Jazz, inspiriert. Mondrian liebte es auch, Konzerte und Tanzveranstaltungen zu besuchen und als Tänzer auf dem Parkett eine gute Figur zu machen. In New
York nahm er sogar professionellen Tanzunterricht, bevor er sich mit Boogie-WoogieSchritten auf die Tanzfläche wagte. Mondrian verwendete in seinen Schriften wiederholt
den Begriff »Rhythmus«, und nutzte ihn gleichermaßen um Phänomene aus dem Bereich
der Musik, des Tanzes als auch aus der bildenden Kunst zu beschreiben. Er betonte dabei,
dass Musik und Kunst nicht nur vergleichbare, sondern zukunftsweisende Ausdrucksformen sind. 1927 schrieb er in der Zeitschrift Internationale revue i10 über die Geistesverwandtschaft zwischen beiden Disziplinen: »Gänzlich fremdartig inmitten der uns umgebenden Melodien und Formen, wirken Jazz und Neoplastik wie Ausdrucksformen eines neuen
Lebens. […].«
Zu den Interpreten zählen unter anderem Duke Ellington, Paul Whiteman, Mae West und
Louis Armstrong.
1 Piet Mondrian, »De Jazz en de Neo-plastiek«, in: Internationale revue i10, 1, 12, Dezember 1927, S. 421–427, hier S. 421; Wiederabdruck in: Piet Mondrian, The Complete Writings. Essays and Notes in Original Versions, kompiliert und hrsg. von Louis Veen, Leiden
2017, S. 285–290, hier S. 285.
Medien Mitteilung
12. September 2022
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Um seine Kunst zu beschreiben, bediente sich Mondrian in seinen Schriften wiederholt des
Begriffs »Rhythmus«, ein Phänomen, das für ihn sowohl in der Musik als auch im Tanz sowie in der bildenden Kunst zum Ausdruck gelangen konnte.
Aktionsraum „Der Beat von Piet“
Ein umfangreiches Vermittlungsprogramm zur Ausstellung kontextualisiert und aktualisiert
Piet Mondrian und sein künstlerisches Schaffen. Dabei gibt der Aktionsraum „Der Beat von
Piet“ den Ton an. In mitten der Ausstellung können neugierige Besucher*innen einen für sie
eingerichteten Aktionsraum vielfältig nutzen, um über verschiedene Sinne aktiv in Kontakt
mit den umgebenen Exponaten zu treten. Neben dem individuellen Austausch mit anderen
Besucher*innen über Gesehenes, kann hier Musikstücken gelauscht werden, zu denen
Mondrian selbst das Tanzbein schwang. Für Führungen (in Deutscher-, Englischer-, Französischer- und Leichter Sprache) und Workshops, die sich vor allem Mondrians Faszination für Rhythmus als verbindendes Element zwischen Musik und Bildender Kunst widmen,
bietet der Aktionsraum die Möglichkeit der Interaktion in einer geschützten Atmosphäre.
Mittels Klebeband sind die Besuchenden eingeladen, Wände und Boden kreativ mitzugestalten und so ein begehbares Gemeinschaftswerk entstehen zu lassen.
Das Bildungsprogramm im wurde von Julia Latzel und Sarah Schmeller entwickelt.
Publikation
Mondrian. Evolution
Herausgegeben von Susanne Gaensheimer, Kathrin Beßen und Susanne Meyer-Büser
Mit Beiträgen von Kathrin Beßen, Ulf Küster, Susanne Meyer-Büser, Charlotte Sarrazin,
Bridget Riley, Benno Temple, Caro Verbeek
Deutsche und englische Ausgabe
Hatje Cantz Verlag
264 Seiten
44 Euro
Digitales Begleitheft K+
Zur Ausstellung erscheint ein digitales Begleitheft, das einen multimedialen Einblick in die
einzelnen Schaffensphasen des Künstlers sowie Hintergrundinformationen zum Werk und
Leben Piet Mondrians gibt. Anhand von QR-Codes an verschiedenen Stationen im Ausstellungsraum kann das K+ während des Ausstellungsbesuchs über Smartphone oder Tablet
aufgerufen werden.
Ausstellungstagebuch für Kinder
Das Ausstellungstagebuch für Kinder begleitet junge Besucher*innen ab sechs Jahren mit
spannenden Suchspielen und künstlerisch-kreativen Aufgaben durch die Ausstellung.
Junge Gäst*innen können sich so das Werk des Künstlers Piet Mondrian spielerisch selbst
erschließen. Das Ausstellungstagebuch ist kostenlos an der Kasse erhältlich.
Medien Mitteilung
12. September 2022
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Mondrian. Evolution
K20 vom 29. Oktober 2022 bis 12. Februar 2023
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Pressekonferenz und Vorbesichtigung: 27. Oktober 2022, 11 Uhr im K20
#K20Mondrian #PietMondrian #K20 #DerBeatVonPiet
Mit freundlicher Unterstützung des Königreichs der Niederlande.
Medienpartner der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes
Nordrhein-Westfale