Wie Wein zum Volksgetränk wurde

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Nazi-Werbeaktion für Wein fand große Resonanz in Gießen

Neubeginn der Vortragsreihe des Oberhessischen Geschichtsvereins

Nach einer unfreiwilligen coronabedingten Pause  von anderthalb Jahren konnte Dr.Michael Breitbach, gerade wieder gewählter Vorsitzender des gastgebenden Oberhessischen Geschichtsvereins, kürzlich im Netanyasaal des Alten Schlosses  eine erfreulich große Zahl Besucher zum ersten Vortrag des Winterhalbjahres begrüßen. Er stellte kurz gefasst das neue Vortragsprogramm vor und begrüßte mit Dr. Christof Krieger einen Referenten , der als Leiter des Mittelmoselmuseums in Traben Trabach von Haus aus eng mit Wein und Winzern verbunden ist. Zudem verbrachte Krieger einige Jahre seines Studiums auch an der Unversität  Gießen.                                                                                                           Im  Rahmen seiner Studien stieß Krieger auf eine bis dato nahezu unerforschte Seite des Dritten Reiches, die er intensiv aufarbeitete und zur Dissertation ausbaute.  Sie füllten nicht nur hunderte von Buchseiten bei der späteren Veröffentlichung, sondern bedienten sich auch des publikumswirksamen Titels des Vortrags “Saufen für den Führer”. Damit bezeichneten die “Volksgenossen” eine ungewöhnliche Werbeaktion für deutschen Wein,die ursprünglich in Düsseldorf erdacht wurde. Ihre Aufgabe war es, gleich zwei Ziele zu erreichen. Einerseits sollte den krisengeschüttelten Winzern geholfen werden und zum anderen eine Aktion umgesetzt werden, die das Reich von der Westgrenze bis Hinterpommern umfasste und von den Ortsgruppen der NSDAP organisiert wurde. Mit der  Einführung eines Tages der “deutschen Traube und des deutschen Weines” 1934 sollte Wein zum Volksgetränk gemacht werden. Gleichzeitig wurde damit auch die propagandistische Vorbereitung der Rückkehr des Saarlandes  ins Deutsche Reich  unterstützt .Als voller Erfolg erwies sich, wie Krieger eindrucksvoll nachweisen konnte, die Idee von Wein-Patenschaften. Diese beruhte darauf, dass eine deutsche Stadt mit einer Winzergemeinde ein Abkommen über “Patenwein” einging und für einen bestimmten Zeitraum nur diesen Rebensaft ausschenkte. Der Referent betonte, dass nie vorher oder nachher eine größere Werbeaktion für Wein und Winzer in Deutschland stattfand.                                                                   Neben vielen anderen Städten richtete Krieger bei seinem mit aufschlussreichem Bildmaterial ausgestatteten  Vortrag sein Augenmerk auf Gießen. Aufnahmen von Weinfesten in der Volkshalle und an Ausschankstellen wie am Alten Schloss und am Selterstor dokumentierten ebenso wie ein Einblick in den Briefwechsel von Bürgermeister Ritter und den Partnergemeinden Oppenheim und Gau-Algersheim, dass nach einigen organisatorischen Problemen die Aktion ein voller Erfolg wurde. Das zeigte nicht zuletzt eine Auflistung in tabellarischer Form.heute “ranking” genannt, wonach Gießen im Reich an dritter Stelle lag. Zum Erfolg hatten auch Rekordernten in den Jahren 1934 und 1935 beigetragen, während Juden nach der inneren Menschen verachtenden Logik der Nazis auch als Weintrinker unerwünscht waren.  Dr.Hans-Wolfgang Steffek M.A.