Spielzeit 2023/24: Das Stadttheater wächst mit Stadt und Publikum zusammen und präsentiert ein vielfältiges zeitgenössisches Programm

312
Intendantin Simone Sterr (links) mit ihrem Team vom Stadttheater Gießen.

Nach einer erfolgreichen Spielzeit 2022/2023, die im Zeichen der Veränderung unter der neuen Intendanz von Simone Sterr und ihren neuen Teammitgliedern, wird das Stadttheater Gießen sein Programm für die nächste Theatersaison unter dem Motto „Zusammenwachsen“ führen. Wie Sterr erklärt, gehe es um einen Prozess zwischen Ensemble und Theater sowie zwischen Theater und Stadt, der Geduld und Zeit brauche. Die KünstlerInnen seien zusammengewachsen. Und das Theater sei ebenfalls in und mit der Stadt zusammengewachsen, indem Begegnungen und Partnerschaften aufgesucht worden seien. Außerdem sei das Theater auch mit dem Publikum zusammengewachsen, das immer vielfach, vielfältig und vielschichtig sei. Das Theater soll ein Ort für alle und insbesondere ein Ort der Schönheit, der tollen Erlebnisse, der Diskussion sein. Den Prozess unterstützt Cennet Alkan, die als Dramaturgin und Mitarbeiterin für Stadtvernetzung neu ins Team gekommen ist. Hervorzuheben sei die Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes im Rahmen des Fonds „Zero – Klimaneutrale Kunst- und Kulturprojekte“. Das Programm erlaube ein Experiment: Herausfinden, ob es möglich ist, ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig Kunst zu produzieren.

Die neue Spielzeit ist von einem breiten Spektrum von Veranstaltungen charakterisiert, die das unterschiedlichste Publikum und verschiedene Altersgruppen ansprechen und die sich mit zeitgenössischen Themen auseinandersetzen.

Das wird deutlich bereits im Programm des Jungen Theaters unter Leitung von Mathilde Lehmann. Die Aufführungen widmen sich jungen ZuschauerInnen von kleinen Kindern ab 3 Jahren bis Jugendliche. Die erste Premiere ist „Der Bär, der nicht da war“ (ab 3 Jahren) mit dem Thema der Selbsterkenntnis, gefolgt vom Familienstück „Vorstadtkrokodile“ (ab 8 Jahren), das sich mit der Inklusion auseinandersetzt. Beide Theaterstücke werden zum ersten Mal vormittags an einem Werktag Premiere feiern, um ein Kinderpublikum besser als in den Abendveranstaltungen zu erreichen. Ein weiteres spannendes Thema für die Jugendlichen ist die Freude an der Suche nach neuen Welten im partizipativen Projekt in Koproduktion mit der Hermann-Hoffmann-Akademie Gießen „20.000 Meilen unter dem Meer“ mit Anregungen im Bereich Klimawandel, und „Schöne neue Welt“, bei dem Jugendliche zwischen 12 und 18 eingeladen werden, zusammen zu erforschen, was ihrer Meinung nach eine bessere Welt ausmacht. Als mobile Produktion, um das Theater in die Schule des Landkreises zu bringen, wird „Popcorn oder Einsame Explosionen“ vorgestellt. Die letzte Aufführung des Jungen Theater schließt den Kreis wieder mit dem Thema der Selbsterkenntnis mit „bodybild“.

Neu im Team des Jungen Theaters ist die Theaterpädagogin Denitsa Stoyanova, die das Haus im Prozess der Alters-Diversifizierung und Erschließung neuer ZuschauerInnengruppen unterstützen wird, u.a. mit einem interdisziplinären Workshop-Programm für verschiedene Altersgruppen.

Die Künstlerische Leiterin des Musiktheaters Ann-Christine Mecke kündigte an, dass allen Ensemblemitgliedern die Gelegenheit gegeben wird, in den Aufführungen zu zeigen, was sie können. Neben Klassikern wie Verdis „Rigoletto“ und Tschaikowskis „Eugen Onegin“ wird das Stadttheater Händels „Xerxes“ und Bizets konzertante Oper „Die Perlenfischer“ präsentieren. Musikdramaturg Christian Förnzler stellte noch zwei besondere Projekte vor: Lehárs Kabarett-Operette „Mitislaw, der Moderne“ aus dem Eröffnungsjahr des Stadttheaters 1907 und Brittens „Curlew Love Songs“, eine Koproduktion mit dem Theater Aachen, die ursprünglich nur für Männerstimme komponiert wurde, in dieser Uraufführung von Cymin Samawatie jedoch mit einem Frauenchor bereichert wird. „Curlew Love Songs“ wird in der Johanneskirche stattfinden.

Was die Konzerte betrifft, freute sich Generalmusikdirektor Andreas Schüller darüber, dass viele Wünsche der ZuhörerInnen sowie des Orchesters berücksichtigt werden konnten. Es werde einer ganzen Reihe von Werken eine Chance gegeben, die noch nie im Stadttheater Gießen gespielt wurden. Unbekannte Kompositionen werden mit bekannten Stücken aus derselben Epoche gepaart, z. B. im 1. Sinfoniekonzert die Sinfonie Nr. 3 c-Moll der Amerikanerin Florence Prince mit dem Konzert für Orchester Béla Bartóks, und im 4. Sinfoniekonzert Emilie Mayers Ouvertüre zu „Faust“ mit Werken von Schubert und Beethoven. Im 3. Sinfoniekonzert erlaubt die Kooperation mit der Philharmonie Südwestfalen die Ausführung des großen Werks „Ein Heldenleben“ von Richard Strauss. Zu den acht Sinfoniekonzerten kommen noch zwei Chorkonzerte und das Neujahrskonzert, das auch 2024 zweimal aufgeführt wird. Vier Kammerkonzerte und „The musical world of Camila Meza“ mit der HR-Bigband runden das Programm ab.

Die beliebten Previews am Vorabend der Sinfonie- und Chorkonzerte werden weiterhin angeboten. Hier werden die Konzerte in Kurzform präsentiert und erklärt, anschließend kommt man im Foyer mit den Solisten ins Gespräch und es gibt oft Zugaben und Überraschungen.

Für das junge Publikum sind drei Konzerte und das Projekt „Junges Podium“ in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater Frankfurt geplant.

Auch in der Tanzsparte kündigten der Künstlerische Leiter Constantin Hochkeppel und Dramaturgin Caroline Rohmer an, dass alle Künstler ihre Persönlichkeiten und Wünsche in den Aufführungen einbringen werden. Man wird weiterhin mit Physical Theatre erforschen und in die Tiefen der Psyche eingehen. Es gibt Platz für Unvorgesehenes und für aktuelle Fragen. Die Eröffnungsproduktion „Ghosts – Geister“ von Ursina Tossi setzt sich mit den Gespenstern des Patriarchats und des Kapitalismus auseinander und setzt künstlerische Audiodeskriptionen für Menschen mit und ohne Sehbehinderung ein. Die sogenannte „Spoken Dance“ ist nicht nur ein Schritt in Richtung Barrierefreiheit, sondern macht Tanz für alle hörbar. Das Tanzstück wird am barrierearmen Aufführungsort auf der Probebühne C in der Bahnhofstraße 9 aufgeführt. Hochkeppel selbst wird zwei Produktionen inszenieren: „Die andere Seite“ mit dem Thema des Traums und „in decent times“ über die moralischen Grundfesten unserer Gesellschaft. „Close to you (and think of the song“) von der belgischen Choreografin Yi-Chun Liu beschäftigt sich mit den Träumen der Menschen und ihren Sorgen, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigen. Die Abschlussarbeit „Heat up“ von Marie-Lena Kaiser ist eine echte Produktion, die sich mit dem Bild des Schweißes als erotisch, schamhaft und in Verbindung mit Veränderungen wie in der Pubertät oder in den Wechseljahren auseinandersetzt. Im Programm des Tanztheaters gibt es noch drei Gastspiele: „(S)caring“ von KimchiBrot Connection, „Hydráos“ von der editta braun company und „Fall (at)“ von der Tanzkompanie der Landesbühnen Sachsen.

Intendantin und Künstlerische Leiterin der Schauspielsparte Simone Sterr zusammen mit Dramaturgin Lena Meyerhoff und Dramaturg Tim Kahn präsentierte die Theaterstücke der Spielzeit 2023/24 als einen zeitgenössischen Spielplan, der brennende Fragen der Gegenwart inszeniert. Ein großes Thema ist die Frage nach dem guten Leben, dem in „Woyzeck“ nach Georg Büchner mit Musik von Tom Waits, wo kein gutes Leben, sondern Gewalt dargestellt wird, im Italowestern „Bettina“ von Chiara Marcassa, in Hauptmanns Parodie von Felicia Zeller „Einsame Menschen“, in „Gelbes Gold“ von Fabienne Dür und in der Weltuntergangskomödie „Apokalypse Miau“ von Kristof Magnusson nachgegangen wird. Das Digitale ist ein weiterer, aktueller Gegenstand des Schauspiels in den Werken „Midnight Movie“ von Eve Leigh und „Neometropolis“ von Pat To Yan. Klima, Politik und Demokratie werden in „Stadt, Land, Flut“ von Nina Segal und in „Fifty Degrees of Now“ nach dem 2020 erschienenen Roman „Ministerium für die Zukunft“ von Kim Stanley Robinson dargestellt. Damit verknüpft ist die Reihe „Das Parlament für die Zukunft“, in Kooperation mit den WissenschaftlerInnen Claus Leggewie und Liza Bauer und unterstützt von der Heinrich Böll Stiftung, in der Vorschläge gemacht werden, wie ein friedliches und nachhaltiges Zusammenleben zwischen Menschen und Tieren möglich ist.

Schließlich wurden weitere Projekte und Initiativen des Stadttheaters Gießen erwähnt, die Kooperationspartner, BürgerInnen und Publikum miteinbeziehen, wie die Salongespräche, die Lesungen „Zu Wort kommen“, „Open Mic“ für Gesanginteressierte und das Theaterfest für alle Theaterfreunde. Ein besonderes Highlight werden die Hessische Theatertage nächstes Jahr sein, deren Gastgeber Gießen vom 27. Juni bis zum 7. Juli 2024 sein wird.

Das neue Programmheft steht bereits im Theater, im Haus der Karten und auf der Webseite des Stadttheaters https://stadttheater-giessen.de/de/spielzeit-2023-2024/ zur Verfügung. Wie vom Geschäftsführenden Direktor Dr. Martin Reulecke angekündigt, kann man eine moderate Preiserhöhung zwischen 5 und 10% Prozent feststellen, die von den allgemeinen Teuerungen verursacht wurde. Sie wird sowieso eher die höhere Preisgruppen betreffen, manche Preiskategorien werden gar nicht angehoben, so dass die Preise im Vergleich mit anderen Theatern am unteren Rand der Preisskala bleiben. Weiterhin kommen Studierende der Gießener Hochschulen über den Semesterbeitrag kostenfrei ins Theater.