Gelesen im März 2022

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Meine März-Lektüre war geprägt von Serien-Fortsetzungen und Hineinschnuppern in für mich neue Reihen.

Im 6. Band der Richard-Oppenheimer-Krimis „Luftbrücke“ von Harald Gilbers wechselt der Kommissar nach Repressalien im Ostteil der Stadt Berlin in den amerikanischen Sektor, wo Johannes Stumm die Polizei für West-Berlin aufbaute. Er muss jedoch mit seinem Nachfolger im Sowjet-Sektor zusammenarbeiten, um einen äußerst brutal agierenden Serienmörder zur Strecke zu bringen. So viele bluttriefende Mordbeschreibungen will ich eigentlich nicht lesen, aber die spannende Darstellung der Atmosphäre in der geteilten Stadt nach der Währungsreform, die daraus resultierende Blockade der Land- und Wasserwege durch die russischen Besatzer und die Versorgung der notleidenden Einwohner in der Trizone durch die Alliierten über eine Luftbrücke überzeugten mich, die Lektüre nicht abzubrechen.

Für „Schatten in der Friedrichstadt“ von Susanne Goga war ich weiter in Berlin unterwegs, allerdings 20 Jahre früher, 1928. Kommissar Leo Wechsler untersucht im 8. Teil der Reihe den Tod des Journalisten Moritz Graf, der vom Dach des Ullstein-Hauses stürzte. Unfall, Selbstmord oder Mord? Graf, ein Einzelgänger, war bekannt für seine gut recherchierten Artikel in der – noch – unabhängigen Vossischen Zeitung. Wie bald die Pressefreiheit endete, wissen wir Leser. Eine von Grafs letzten Äußerungen war: „Bald habe ich ihn!“ Hatte er einflussreichen Leuten aus dem nationalkonservativen Hugenberg-Konzern auf die Füße getreten? Auch Leo Wechsler wird schon bald bedroht. Eine erneut spannende und hervorragend geschriebene Geschichtsstunde von S. Goga.

Danach ab nach Kanada mit Louise Penny für den 7. und 8. Fall von Chief Inspector Armand Gamache. In „Bei Sonnenaufgang“ hat Clara Morrow, Malerin und gute Freundin von Gamache, ihre erste Einzelausstellung im renommiertem Musée d’art contemporaine in Montréal. Kurz nach ihrem großen Erfolg liegt die Kunstkritikerin Lilian Dyson erschlagen im Morrowschen Garten. Da Dyson bekannt war für ihre gnadenlose Verrisse gibt es zahlreiche Verdächtige. Pennys Roman führt in die Kunstszene zu Künstlern, Galeristen, Kunsthändlern und zeigt ihre Licht- und Schattenseiten. Es geht um seelische Verletzungen, um Verzeihen und Vergeben. Das alles in wunderbarer poetischer Sprache. Sehr gut!

Weniger gelungen fand ich dagegen „Unter dem Ahorn“. Gamache und sein Mitarbeiter Jean-Guy Beauvoir sollen den gewaltsamen Tod eines Mönchs in einem fernab im Wald gelegenen Kloster untersuchen. Eine Art „Name der Rose“ in Kanada. Zwar wie gewohnt guter Schreibstil, leider jedoch ein anderer Übersetzer als im Vorgänger, worauf wohl die ungewohnt derbe Redeweise Beauvoirs zurückzuführen ist. Und seeehr langatmig. Es wird unendlich viel geredet, über Gott und die Welt und über gregorianische Choräle. Der Mord geht dabei fast vergessen. Erst als der intrigante Vorgesetzte von Gamache, Sylvain Francoeur, aus unerfindlichen Gründen auftaucht, angeblich um zu „helfen“, nimmt die Sache langsam Fahrt auf. Nicht der beste Roman der Reihe, aber wichtig für die fortlaufende Geschichte im Hintergrund, in der es um die innere Struktur und den guten Ruf der der Sûreté du Québec geht.

In „Der weiße Affe“ von Kerstin Ehmer tritt Kommissar Ariel Spiro aus Wittenberge in Brandenburg seinen Dienst bei der Mordkommission in Berlin an. Gleich am ersten Tag hat er es mit einem erschlagenen jüdischen Bankier zu tun. Steckt ein politisches Motiv dahinter, war der Täter jemand aus der exzentrischen Familie des Opfers oder ist eventuell doch alles ganz anders. Die Autorin führt den Leser mitten hinein ins überschäumende Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre. Ariel, der sozusagen vom flachen Land kommt, verliert da schon mal den Boden unter den Füßen und seinen Polizeiausweis, aber niemals den Überblick über seinen Fall. Ehmers Schreibstil ist anfangs gewöhnungsbedürftig, die in kursiver Schrift eingestreuten Passagen verwirrend, aber am Ende fügt sich alles zueinander. Tolles Debüt. 2 weitere Bände sind bereits erschienen. Ich bleibe dran.

Neu für mich war auch die Rabbi-Klein-Reihe von Alfred Bodenheimer. Im ersten Band „Kains Opfer“ wird Rabbi Klein aus der Zürcher Jüdischen Gemeinde von Kommissarin Bänziger gebeten bei der Übersetzung von Mails in hebräischer Sprache zu helfen. Sie sind im Zusammenhang mit dem Mord an einem Lehrer aufgetaucht. Da Klein den Mann kannte und er Hinweise auf den Täter entdeckt, gerät er in einen moralischen Zwiespalt. Mäßig spannend, aber interessant, da mich dieser Lokalkrimi in eine mir völlig fremde Welt führte. Ein Glossar jüdischer Begriffe erleichterte das Verständnis.

Und last but not least ein Einzelband: „Bevor der Sturm begann“ von Claudia Ley (alias Charlotte Roth/Lyne. Eine fesselnde deutsch-italienische Familiengeschichte von 1900 bis 1945. Schauplatz Regensburg, wo Susanne Märzhäuser und ihre große Liebe Achille Giraudo ein italienisches Restaurant eröffnen. Sehr emotional. Habe ich gerne gelesen und nebenbei auch mal einen Grappa getrunken.