PRO BAHN Landesverband Hessen hat zur angekündigten RMV-Fahrpreiserhöhung eine differenzierte Meinung – Defizit im Öffentlichen Personennahverkehr darf nicht übergebührlichen Lasten der Fahrgäste gehen – Jedoch ist klar, dass für die Verkehrsebene Finanzierungsmöglichkeiten braucht, wofür die Landes- und Bundespolitik die Entscheidungen fällen muss – PRO BAHN Hessen fordert daher langfristig tragbares Konzept

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Die Fahrpreise zum 01.07.2022 nach nur einem halben Jahr im Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) zum zweiten Mal zu erhöhen, nun deutlich um knapp 4%, dies ist über die Verhältnisse dessen, was man den Fahrgästen zumuten sollte. Zusammen mit den bereits zu Neujahr 2022 erfolgten 1,5 % ergeben die 3,9 % dann 5,4 %, das sind 0,3 % über der vom Statistischen Bundesamt ermittelten Inflationsrate. Die Landesregierung zieht somit die Fahrgäste zur Haushaltssanierung heran, statt sie für ihre umweltbewusste Verkehrsmittelnutzung zu belohnen. Sowohl in der Bevölkerung als auch unter den Mitgliedern ist spontane Verärgerung vorhanden.

Taktisch geschickt versendete der RMV in der Nacht von Freitag (28.01.) auf Samstag (29.01.) die Pressemitteilung, um die verantwortliche Kommunal-, Landes- und Bundespolitik aus den vielgelesenen Samstagsausgaben der Tageszeitungen herauszuhalten. Umso mehr hofft PRO BAHN Hessen, dass die hohe Preisanpassung ein Thema der laufenden Plenarwoche im Landtag wird. Denn im die Erhöhung genehmigenden RMV-Aufsichtsrat war Verkehrsminister Tarek Al-Wazir lang zuvor über die Pläne bestens informiert, hat sich jedoch bei seinem Kabinettskollegen Finanzminister Michael Boddenberg entweder nicht interveniert oder sich nicht durchsetzen können. Nur das Land hätte die deutliche Preiserhöhung verhindern können, evtl. mit Unterstützung der Bundesregierung.<!–more–>

Für die aktuellen Haushalte der Jahre 2022, 2023 und 2024 von Land und Bund sind Aufstockungen in Milliardenhöhe an der Tagesordnung. Die Schuldenbremse wird nicht zu halten sein. Weite Teile der Wirtschaft werden durch Staatshilfen gestärkt, was grundsätzlich in der aktuellen Lage nicht abwegig ist. Jedoch muss es in dem Zusammenhang möglich sein, die Defizite der Träger des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) für die Jahre 2022, 2023 und 2024 zu 100% auszugleichen, so der PRO BAHN Landesvorsitzende Thomas Kraft. Dass sich insbesondere die Finanzpolitiker dazu bislang nicht durchringen können, ist sehr bedenklich. Vorschläge, stattdessen privatrechtlich geführte Unternehmen im staatlichen Besitz, wie die Deutsche Bahn, durch Aufstockungsmechanismen in die Verschuldung zu treiben, gefährdet massiv die Verkehrswende und schädigt Systementwicklungen der Folgejahre.

Mittelfristig muss überlegt werden, wie Mobilität künftig breiter finanziert wird, der Staat hierfür an zusätzliche Einnahmen kommt. Sonst ist weder der heutige Standard nicht zu halten, noch ist an die Verkehrswende bzw. eine Erhöhung des ÖPNV-Anteils um zweistellige Prozentzahlen am Gesamt-Verkehrsmix zu rechnen.

So gilt es, die Bereiche, in welchen die Finanzgeschäfte so florierend laufen, dass sich selbst in Pandemiezeiten die Gewinne vermehrfachen, künftig durch höhere Steuern und Abgaben an dem Gemeinwohl und insbesondere der Aufrechterhaltung der Mobilität zu beteiligen. Des Weiteren ist der Bereich der Großunternehmen zu nennen, welche auch an der weiterhin starken Expansion von Gewerbe- und Industrieflächen beteiligt sind. Sowohl Gewerbe- und Industrie- als auch die übrige Gebäudewirtschaft werden einen Anteil daran tragen müssen, um den laufenden Betrieb der Mobilität sicherzustellen. Seit langem im Raum steht auch der Abbau von Subventionen für Autos, so auch für übergroße E-Autos, deren Umweltverträglichkeit seit langem hinterfragt wird.

All dies ist in die Zukunft geblickt, jedoch nützt dies dem Fahrgast im RMV nichts. Verkehrs- und marketingmäßig ist PRO BAHN zufolge die Preiserhöhung besonders bei Tages- und Einzelfahrkarten ein RMV-Eigentor, stellte doch der RMV im Jahresrückblick 2021 selbst fest: “Der größte Teil der Einnahmenrückgänge gegenüber der Vor-Corona-Zeit geht auf nicht verkaufte Tages- und Einzelfahrkarten zurück“, so der Landesvorsitzende Thomas Kraft weiter. Mit dem Drehen an der Preisschraube in diesem sensiblen Segment wird der RMV weder die Gelegenheitskunden zurückholen noch neue gewinnen können. Von der Erhöhung im Juli 2022 ausgenommene Stammkunden, Schüler und Senioren sollen sich nicht zu früh freuen: Deutliche Erhöhungen bei den Einzel-, Tages- und Wochenkarten sorgen für Verwerfungen in der Tarifsystematik, mit einem Nachholeffekt spätestens zu Beginn oder Ende des Landtagswahljahres 2023 müssen Fahrgäste rechnen; zumal die 365-Euro-Tickets seit Jahren nicht angehoben wurden. Dabei hat die Landesregierung noch nicht einmal günstigere Tickets für Inhaber der Ehrenamtscard in Angriff genommen, die eine besondere Anerkennung verdient hätten nach 2 Corona-Jahren. Der Koalitionsvertrag bleibt auch unbearbeitet.

Vermutlich wird sich der Minister von einer Ausweitung dieser Tickets auf alle Fahrgäste ohnehin verabschieden müssen, wenn er noch nicht einmal eine über der Inflationsrate liegende Preiserhöhung verhindern kann. Jedoch wird die Tarif-Ungerechtigkeit dem PRO BAHN Landesverband Hessen zufolge damit dauerhaft zementiert, zwischen Semester-, Job-, Landes-, Schüler-, Seniorentickets einerseits und den Normalkunden andererseits, die immer stärker zur Finanzierung des ÖPNV herangezogen werden.