Gelesen im Januar 2022 – Teil 2

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Kann ein Land in Kriegszeiten wirklich neutral bleiben? Eine Antwort auf diese Frage bekommen wir Leser in den bewegenden Roman „ Die Stunde zwischen Nacht und Morgen“von Priska Lo Cascio. Im Dezember 1944 beginnt die Schweiz mit einem humanitären Hilfsprogramm, genannt „Schweizer Spende“, für verschiedene europäische Länder darunter Deutschland. Die behütete Eli Wipf, Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns aus Zürich, meldet sich bei den Verantwortlichen und geht schließlich ohne Eltern und Verlobten einzuweihen mit einer Gruppe Helfer ins schwer zerstörte Köln. Dort bauen sie Baracken für das „Schweizer Dorf“, wo dann in erster Linie notleidende Frauen und Kinder mit Speisen und Kleidung sowie kleinen Werkstätten zur Selbsthilfe unterstützt wurden. Eli trifft dort den elternlosen Jungen Mattes, später auch dessen älteren Bruder Helmut, der aus russischer Kriegsgefangenschaft fliehen konnte. Eine zarte Liebe bahnt sich an.

Aber bis die beiden wirklich zusammen kommen, erzählt die Autorin bildhaft über das Elend der ausgebombten Menschen, wie der Hungerwinter 1946/47 die Not noch weiter verschärfte und auch wie es zum noch heute im Rheinland gebräuchlichen Wort „fringsen“ für stehlen, stibitzen, klauen kam. Eli und auch die Leser erfahren, dass hinter der vielbeschworenen Neutralität der Schweiz im Zweiten Weltkrieg ganz banale wirtschaftliche Interessen steckten. Ein großartiger, beeindruckender Roman, den ich uneingeschränkt weiterempfehle.

Lone Theils ist eine dänische Krimiautorin. In „Falsche Gesichter“, dem 4. Teil ihrer Serie um die Journalistin Nora Sand, Auslandskorrespondentin mit Zweitwohnsitz in London, wird diese von ihrem Chef nach Toppingham gesandt, um über den dortigen Polizeichef zu berichten, der enthauptet aufgefunden wurde. Eine islamistische Tat? Oder steckt etwas anderes dahinter? Nora stößt auf ein ungeheuerliches Verbrechen, das von höchster Stelle vertuscht und verharmlost werden sollte. Toppingham ist ein fiktiver Ort. Tatsächlich basieren die in klarer Sprache geschilderten, unglaublichen, doch so geschehenen Straftaten auf realen Ereignissen, die man mit den richtigen Suchbegriffen recherchiert, leicht im Netz finden kann. Eine hervorragende Krimireihe mit gradlinig erzählten Geschichten über aktuelle gesellschaftliche Probleme.

Neu im dänischen Krimiuniversum sind Kim Faber und Janni Pedersen.Winterland“ ist ihr Debüt und der 1. Teil einer Trilogie um die Polizisten Martin Juncker und Signe Kristiansen. Junker, ein genialer Ermittler, wurde nach einem Fehltritt in die Provinz strafversetzt. Dort kümmert er sich um seinen dementen Vater und ertränkt seinen Frust im Alkohol. Ein Mord und eine Vermisstenmeldung reißen ihn aus seiner Lethargie. Seine Exkollegin Signe muss derweilen mit ihrem aus nachvollziehbaren Gründen – ein brutaler Übergriff nach einer Feier – verhassten Kollegen Troels im Fall eines Bombenanschlags auf den Kopenhagener Weihnachtsmarkt zusammenarbeiten. Bald stellt sich heraus, dass die beiden Fälle miteinander zu tun haben. Sehr spannend, aus wechselnden Perspektiven erzählt und mit überschaubar langen Kapiteln, die zum beständigen Weiterlesen animieren. Zudem viele aktuelle Themen und Gesellschaftskritik: Terrorismus, Flüchtlinge, Fremdenfeindlichkeit und der Umgang mit Demenzkranken. Am Ende ist nicht wirklich alles aufgeklärt, sodass man Teil 2 „Todland“ unbedingt lesen will/muss. Was Teil 3 „Blutland“, der im Mai 2022 erscheinen soll noch bringen wird? Ich bin gespannt.