Heraus zum 1. Mai – Friedewald, Gießen und der Maifeiertag

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August Spies

Der erste Mai war in den USA und Australien bereits zu Beginn der Industrialisierung der traditionelle Anfangstag neuer Arbeitsverträge. Zu den ersten zentralen Forderungen der Arbeiterbewegung gehörte der Achtstundentag. In Australien fanden bereits 1856 Massenaktionen und Streiks zur Durchsetzung des Achtstundentages statt.

In den USA riefen die Gewerkschaften 1886, in Anlehnung an die Aktionen 30 Jahre zuvor in Australien, zu Streiks und Demonstrationen auf, die in vielen Städten der USA durchgeführt wurden. In Chicago hielt am 3. Mai August Spies, Chefredakteur und Herausgeber der „Arbeiter-Zeitung“ eine Rede auf dem Haymarket-Platz, bei der die Polizei bei Auseinandersetzungen zwei Demonstranten erschoss. Bei einer Protestkundgebung am nächsten Tag stürmte die Polizei den Platz, ein Unbekannter warf eine Bombe, bei dem anschließenden Gefecht wurden mehr als 200 Arbeiter verletzt, die Zahl der Toten wird mit 7 Polizisten und mehr als 20 Arbeitern angegeben.

Als angeblich Schuldige wurden acht „Anarchisten“ festgenommen, vier von ihnen wurden hingerichtet, darunter August Spies, einer beging in der Zelle Selbstmord, drei wurden sechs Jahre später begnadigt.

1889 rief die „Zweite Internationale“, ein Zusammenschluss sozialistischer Organisationen, auf ihrem Gründungskongress den 1. Mai, in Erinnerung an das Haymarket-Massaker und den sich daran anknüpfenden Justizmord zum internationalen Kampftag der Arbeiterbewegung aus. Seit 1890 finden in zahlreichen Ländern der Erde Demonstrationen und Kundgebungen der Gewerkschaften statt.

Die Spur von August Spies lässt sich nach Hessen zurück verfolgen. Spies[s] wurde am 10. Dezember 1855 in Friedewald als Sohn eines Försters geboren und wanderte nach dem Tod des Vaters nach Amerika aus und begann in New York eine Schreinerlehre. Nach seinem Umzug nach Chicago machte er sich selbständig und holte den Rest der Familie, seine Mutter und Geschwister nach.

1877 schloss er sich der „Sozialistischen Arbeiterpartei von Nordamerika“ an, 1880 wurde er Herausgeber und danach auch Chefredakteur der Chicagoer „Arbeiter-Zeitung“. Als seine letzten Worte vor der Hinrichtung sind überliefert: „Die Zeit wird kommen, da unser Schweigen im Grabe mächtiger sein wird als unsere Reden.“

In Friedewald dauerte es bis zum 4. September 1993, dass man sich an den wohl bekanntesten Sohn Friedewalds erinnerte und ihm ein Denkmal setzte.

Einer der Redner auf der mächtigen Kundgebung zur Beerdigung und Verfasser von Berichten über diese Justizmorde war Albert Currlin, der auch in Gießen – mittlerweile verwischte – Spuren hinterlassen hat. Currlin, Jahrgang 1852, war gelernter Bäcker, den es auf seiner Wanderschaft auch nach Gießen führte. Im Jahre 1873 war er an der Gründung eines gewerkschaftlichen Bäckervereins in Gießen beteiligt; Gießen war damit neben Berlin einer der Vorreiter der Organisierung der Bäckergesellen. Er gehörte auch zu den ersten Gießener Mitgliedern der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, einer der Vorläufer der SPD.

Currlins Aufenthalt in Gießen währte nur kurz, 1874 emigrierte er in die USA. Über New-York und Philadelphia kam er nach St. Louis, wo er ab 1876 Herausgeber der „Volksstimme des Westens“ wurde. Hier hielt er auch am 18. März 1877 auf einer Feier zu Ehren der Kämpfer der Pariser Commune vor mehr als 2500 Besuchern die Festrede. In den folgenden Jahren wurde er Herausgeber für verschiedene Arbeiterblätter, unter anderem der „Arbeiterzeitung“ in San Francisco. Neben seinen herausragenden Tätigkeiten in der sozialistischen Bewegung war er auch in der Turnbewegung aktiv.

In diesem Jahr ruft der DGB wieder zu Aktionen am 1. Mai auf, die auch in Gießen, wenn auch unter Corona bedingten Auflagen, stattfinden sollen.

3 Kommentare

  1. Im südbayrischen bereich wurden die vorgesehenen Präsenzkundgebungen des DGB in den letzten beiden Tagen reihenweise wieder abgesagt, allerdings nicht alle, weil die Inzidenzwerte etc. es erfordern würden. Dabei haben die sich, so weit ich es sehe, die letzten Tage gebessert.

    Der o.a. Beitrag stimmt mich wieder einmal nachdenklich: Trotz viel schlechterer Verkehrs- und Reisebedingungen, trotz viel schlechterer Kommunikationswegen (Federkiel statt Computer und Telefon) war die Arbeiterbewegung im 19. und zu Beginn des 20.Jahrhunderts irgendwie viel mobiler und “internationaler” als heutzutage. Zeigt sich auch am Hinüber und Herüber über den Atlantik. Man bedenke auch, daß es damals bei Großkundgebungen keinerlei Lautsprecher oder so was gab. Es war üblich, daß an verschiedenen Ecken des Kundgebungsplatzes neben dem Hauptredner verschiedene “Unterredner” auftraten.

    Zum Auftreten von Spies auf dem Chicagoer Haymarket siehe auch:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Haymarket_Riot