SPD Pohlheim hatte zum Vortrag mit Prof. Dr. Hans.Jürgen Bömelburg eingeladen. Thema: “Der Russland-Ukraine-Konflikt und Europa”

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Prof. Dr. Hans-Jürgen Bömelburg referierte auf Einladung der SPD Pohlheim das Thema „Der Russland-Ukraine-Konflikt und Europa“

Zu einer „Veranstaltung mit Vortrag“ hatte die SPD Pohlheim Mittwochabend in den Kleinen Saal der Volkshalle im Pohlheimer Stadtteil Watzenborn-Steinberg eingeladen. Als Referenten begrüßte der Moderator des Abends, Prof. Dr. Ulrich Huster, seinen Kollegen Prof. Dr. Hans-Jürgen Bömelburg. Bömelburg ist Stellvertretender Geschäftsführender Direktor des „Gießener Zentrum Östliches Europa (GiZo)“ und sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der „Osteuropäischen Geschichte“.

Im 17. Jahrhundert entstand in der Ukraine eine eigene Nation.

So betrachtete der Wissenschaftler den aktuellen Russland-Ukraine Konflikt mit einem Rückblick auf die historische Entwicklung des Staates „Ukraine“. Er machte deutlich, dass die Ukraine nach Russland der zweitgrößte Staat Europas ist. Im 17. Jahrhundert entstand in der Ukraine eine eigene Nation, die sich hauptsächlich auf die „Dnipro-Kosaken“ stützte und im Heimatstaat ansatzweise eine eigene Staatlichkeit entwickelte.

Ukraine, eine agrarisch erfoglreiche Region, Industriezentrum im Donecbecken

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Ukraine zu einer agrarisch erfolgreichen Region mit einem Zentrum der Industrialisierung im Donecbecken. Eine eigene Prägung der ukrainischen Territorien blieb auch im Russländischen Imperium erhalten. Die Bolseviki förderten nach 1918 eine eigene Ukrainische Sowjetrepublik, um eine sozialistische ukrainische Nation zu entwickeln. Bömelburg betonte hier, dass die Sowjetunion keinesfalls mit Russland gleichgesetzt werden darf.

Ukraine hat eine Demokratie aufgebaut

Die Sowjetukraine zählte 1945 zu den Gründernationen der UNO. Eine politische Opposition entstand in den 1980er Jahren. Im Dezember 1991 sprachen sich in einem Referendum über 92 Prozent der Menschen für eine unabhängige Ukraine aus. „Die Ukraine verfügt also über deutlich größere nationale und staatliche Traditionen, als manche westeuropäischen Staaten und ist durch wiederholte Selbstbestimmungsentscheidungen demokratisch und völkerrechtlich legitimiert“, sagt Bömelburg. Unter den postsowjetischen Staaten ist die Ukraine neben den baltischen Staaten die einzige Gesellschaft, die eine Demokratie aufgebaut hat.

Verlogene Politik Putins mit Manipulation und Falschinformationen

Hier kommt nun die aktuelle verlogene Politik Putins zum Tragen, die auf Manipulation und Falschinformationen setze. So ist das Putinsche Argument falsch, in der Ukraine seien „Nationalsozialisten“ an der Macht. Russland als größter Staat, hat die Ukraine, den territorial zweitgrößten Staat Europas, militärisch überfallen und dabei mehrfach gegen das Völkerrecht verstoßen. Dies geschah ohne Kriegserklärung unter monatelanger Täuschung der Weltöffentlichkeit. Vielleicht Zehntausende oder sogar mehrere hunderttausende Zivilisten und Soldaten sind bisher ums Leben gekommen. Dabei finden täglich Kriegsverbrechen durch das Bombardement von Wohnvierteln und ziviler Infrastruktur statt. Es wurden weite Teile der Ukraine rechtswidrig zerstört.

Putin legitimiert verbrecherisches Handeln durch infame Lügen

Russlands Regierungselite und Putin legitimieren ihr verbrecherisches Handeln durch infame Lügen. So behauptet Putin: „Die moderne Ukraine wurde vollständig von Russland geschaffen.“ Hier wird die Existenz der Ukraine zugunsten eines imperialen Russlands geleugnet. Den Nachbarn werden eigene Kultur, eigene Staatlichkeit sowie die eigene Sprache und Selbstbestimmung umfänglich abgesprochen. Aus Sicht Putins gibt es die Ukraine nicht und daher sind auch keinerlei Verhandlungen über einen nicht existierenden Staat möglich.

Ukraine geht einer ungewissen Zukunft entgegen

Damit geht die Ukraine einer ungewissen Zukunft entgegen. Wie diese Zukunft aussehen könnte, lasse sich durch verschiedene Szenarien beschreiben. Mit fünf unterschiedlichen, skizzenhaften Szenarien leitete Bömelburg aus seinem fundierten Vortrag über zur anschließenden Diskussion.

Mögliche Szenarien zur zukünftigen Entwicklung der Ukraine

Szenario eins: Es entwickelt sich ein jahrzehntelanger andauernder Untergrund- und Bürgerkrieg mit ähnlichen Erscheinungen wie in Syrien.

Szenario zwei: Es entsteht ein westukrainischer Rumpfstaat und eine russisch besetzte Zentral- oder Ostukraine. Der ukrainische Reststaat wäre wirtschaftlich und politisch kaum handlungsfähig. Resultat wäre eine lang dauernde EU-Unterstützung.

Aus diesen beiden Szenarien eins und (oder) zwei würden wahrscheinlich mehr als zehn Millionen Ukrainer in der EU Zuflucht suchen.

Szenario drei: „Einfrieren“ (Rolf Mützenich) würde zu einem „brüchigen“ Waffenstillstand auf Status quo Basis führen. Die russische Seite könnte neue militärische Reserven aufbauen.

Szenario vier: Erhalt einer weitgehenden ukrainischen Integrität mit der Perspektive des EU-Beitritts unter Ausklammerung der Krim-Frage und einer international gesicherten Autonomie für Donec und Luhansk. Alle, denen Europa am Herzen liegt, sollten darauf hinsteuern.

Szenario fünf: Zusammenbruch des Putin Regimes in Russland. Das ist unwahrscheinlich, da eine demokratische Opposition zerschlagen wurde und ein Putschversuch aus dem Bereich des Militärs unwahrscheinlich ist. Auch ein demokratisch legitimierter Putin Nachfolger könnte den Krieg gegen die Ukraine fortsetzen.

Resümee: Alle Szenarien bedeuten bestenfalls eine in Jahrzehnten zu bemessende Rückkehr zu einem Frieden. Darauf muss sich die deutsche Politik und Öffentlichkeit einstellen.

Moderator Huster dankte dem Referenten Bömelburg für seinen detaillierten und fundierten Vortrag. Es folgte eine fast einstündige Diskussion, in der sich verschiedene Zuhörer zu Wort meldeten.