Der Oberhessensteig – 162 Kilometer Natur, Geschichte und Vulkangestein. Wer den interkommunalen Wanderweg der Landesgartenschau Oberhessen am Stück läuft, kennt vermutlich nur sich selbst. Karin Rühl aus Grünberg ist die Erste, die die zehn Etappen in einem Rutsch erwandert hat. Ein Eintrag ins oberhessische Guinnessbuch der Rekorde wäre mehr als verdient.
„Ich geb’s zu – mich hat der Ehrgeiz gepackt“, lacht sie. „Ich wollte die Erste sein, die’s schafft.“ Sie schnürte ihre Schuhe, packte den Rucksack und startete – allein, weil sie, wie sie sagt, „keinem erklären wollte, wann und wo Pause angebracht ist“.
Der Oberhessensteig ist das Projekt, das die elf Kommunen der Landesgartenschau 2027 verbindet. Der Vogelsberger Höhenclub hatte die Strecke initiiert. Sie führt durch herrliche Landschaften, bietet abwechslungsreiche Routen, imposante Fernblicke und kulturelle Entdeckungen und ein Stück Vulkangeschichte. Indian Summer auf Hessisch: Sonnenstrahlen lassen im Herbst das Laub leuchten, Kastanien und Walnüsse purzeln auf die Erde – traumhaft.

Doch der Herbst hat auch seine Tücken: Dauerregen, kühle Temperaturen, Wind. Und das genau an jenem ersten Oktoberwochenende, an dem Karin Rühl aufbrach. „Von 39 Stunden waren drei trocken“, erzählt sie. Der Regen sickerte durch die Jacke, machte die angeblich wasserdichten Schuhe zum Fussbad. Büdingen, Gedern, Hoherrodskopf. Noch nicht einmal die Umrisse der Taufsteinhütte sah sie durch den Nebel. Heftiger Wind fegte durch den Wald, krachende Bäume, umherfliegende Äste – Aufgeben? Kam nicht infrage – auch nicht, als sie nach einer kurzen Rast merkte, dass sie ihre Brille vergessen hatte. Also: drei Kilometer zurück.
Nachrichten von Freunden halfen. „Nur noch ein paar Kilometer, das schaffst du!“ – diese Worte hielten sie auf Kurs. Und dann gab es Momente, die alles wettmachten: Kaffee von einem unbekannten Mann, der die Strecke trackte, Kürbissuppe in der Thermoskanne und trockene Kleidung von Margit Bopp, die an zwei Stellen auf Rühl wartete. Volker Berg von den Limestretern steuerte ein Ladekabel bei, weil die Technik aufgrund der Nässe streikte. Nicole Avieny von der Vogelschmiede Herchenhainer Höhe gab Unterschlupf, Brote und Tee für die nächsten Kilometer.
Die Nacht war bitterkalt und nass – nach 100 Kilometer war endlich die Niddatalsperre erreicht. Noch Weitere 4 Stunden bis zur nächsten Pause ging es weiter nach Eichelsdorf. Dort konnte Rühl bei einem Bäcker einkehren; heisse Schokolade tat so unendlich gut.
In Bad Salzhausen wartete Stefan Grumbrecht mit einem Leberkäsbrötchen und begleitete sie die letzten 30 Kilometer. „Eine Wanderung ohne Leberkäsbrötchen? Das geht gar nicht“, sagt Karin Rühl und lacht. Nach 39 Stunden und 15 Minuten empfingen sie Margit Bopp mit Kerzen, Musik und warmem Tee an der Kulturhalle in Stockheim – das Ziel. „Da waren alle Strapazen vergessen.“
Am nächsten Morgen? Keine Blasen, keine Beschwerden – nur geschwollene Füsse und Stolz.
Für Karin Rühl ist der Oberhessensteig weit mehr als eine sportliche Herausforderung. „Diese Landschaft ist einmalig – diese Hügel, die Dörfer, das Licht. Das gibt’s so nur hier.“ Ihr Tipp: „Bitte nicht in einem Stück! Lieber als Tagesetappen. Jede Etappe ist schön – und die meisten sind sogar kinderwagentauglich.“ Wer zur Landesgartenschau kommt, sollte wenigstens ein Stück des Steigs mitnehmen. „Schotten, Gedern, Bad Salzhausen – das muss sein.“
Ganz nebenbei hat Karin ihre Wanderung einem guten Zweck gewidmet: Sie sammelt Spenden für die Deutsche Krebshilfe.
Spenden für die Deutsche Krebshilfe sind unter folgendem Link möglich:
https://www.krebshilfe.de/spenden-aktiv-werden/aktiv-werden/online-spendenaktion-starten/spendenaktion/kinder-sind-unsere-zukunft/




