Kongress erinnert an das Leid der „Verschickungskinder“ – Aufarbeitung in Bad Wildungen

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Sie wurden „zur Erholung“ verschickt – und kehrten oft traumatisiert zurück: Millionen Kinder mussten zwischen 1950 und 1980 in sogenannte Kinderkurheime, wo sie statt Fürsorge Kälte, Gewalt und Demütigung erfuhren. Ein bundesweiter Kongress vom 27. bis 30. November 2025 in der Wandelhalle Bad Wildungen will nun das Schicksal dieser sogenannten Verschickungskinder noch mehr ins öffentliche Bewusstsein rücken und neue Impulse für die Aufarbeitung setzen.

Bad Wildungen spielte in der Geschichte der Kinderverschickung eine zentrale Rolle: Mit zahlreichen Kinderkurstätten – allen voran dem Kinderheim Reinhardshausen – war die Kurstadt über Jahrzehnte Ziel tausender kleiner Patientinnen und Patienten. Was als Gesundheitsmaßnahme galt, entpuppte sich vielerorts als System aus Kontrolle, Strafe und Misshandlung.

„Das ganze System war nicht auf die Bedürfnisse der Kinder, sondern auf die Interessen der Betreiber ausgerichtet“, erklärt Anja Röhl, Vorsitzende des Vereins Aufarbeitung und Erforschung Kinderverschickung e.V. und wissenschaftliche Begleiterin der Initiative Verschickungskinder e.V. „Kinder wurden nach überholten, teils autoritären Erziehungsmustern behandelt – mit Gewalt beim Essen, Toilettenverboten und harten Strafen, besonders für Bettnässer.“

Schätzungen zufolge wurden bundesweit zwischen 8 und 12 Millionen Kinder unbegleitet für mehrere Wochen in solche Heime geschickt – oftmals mit zweifelhaften medizinischen Diagnosen. Etwa 350 Kurorte in Deutschland waren daran beteiligt, rund 2.000 Heime zählten zu dem System. Über 15.000 Betroffene haben mittlerweile über standardisierte Fragebögen ihre Erfahrungen dokumentiert. Darunter sind auch viele aus Mittelhessen, die am letzten Novemberwochenende Richtung Nordhessen reisen.

Begleitend zum Kongress wird in der Wandelhalle eine Ausstellung mit Zeitzeugenberichten eröffnet. Der dazugehörige Ausstellungskatalog entstand unter Mitwirkung der Wissenschaftler Johannes Grötecke und Kirsten Bänfer aus Hessen. Neben der Geschichte der Bad Wildunger Heime werden auch Themen wie Kontinuitäten aus der NS-Zeit, internationale Studien zu Folgeschäden und aktuelle Bürgerforschungs-Projekte der Betroffenen vorgestellt.

„Wir wollen nicht nur erinnern, sondern auch verändern“, betont Röhl. „Viele der Betroffenen leiden bis heute unter den Folgen. Sie wünschen sich Anerkennung, Unterstützung und einen würdigen Platz in der deutschen Erinnerungskultur.“

Zum Kongress wird eine dreistellige Zahl an Betroffenen aus ganz Deutschland erwartet. Die Stadt Bad Wildungen unterstützt die Veranstaltung und stellt die Wandelhalle kostenfrei zur Verfügung. Neben Fachvorträgen und Diskussionsrunden sind auch Interviews mit Zeitzeugen und Wissenschaftlerinnen geplant.