Mehr arbeiten oder weniger? Ein Streit um die Zukunft der Arbeitszeit

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Die Debatte um die richtige Arbeitszeit gewinnt an Schärfe. Während die einen längere Arbeitszeiten fordern, warnen andere vor den Folgen einer weiteren Belastung der Beschäftigten. Zwei Positionen stehen sich derzeit besonders deutlich gegenüber:

Unser Bundeskanzler und Wirtschaftsministerin Bettina Reiche (CDU) sprechen sich für eine Verlängerung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit sowie eine Anhebung des Renteneintrittsalters aus. Sie argumentieren mit dem demografischen Wandel: Das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Ruheständlern verschiebe sich zunehmend zuungunsten der sozialen Sicherungssysteme.

Dagegen fordert Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), eine Verschärfung des Arbeitszeitgesetzes. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seien bereits jetzt an der Belastungsgrenze. Eine weitere Erhöhung der Arbeitszeit könne zu einem steigenden Krankenstand führen.

Rechtliche Rahmenbedingungen
Das europäische Arbeitszeitrecht (Richtlinie 2003/88/EG) sieht eine tägliche Höchstarbeitszeit von 13 Stunden bei mindestens elf Stunden Ruhezeit vor. Pro Woche dürfen im Durchschnitt nicht mehr als 48 Stunden gearbeitet werden. Entgegen landläufiger Meinung ist ein generelles „Opt-out“, auch in Deutschland nicht mehr zulässig.

Das deutsche Arbeitszeitgesetz ist in einigen Punkten strenger: Es erlaubt maximal zehn Stunden Arbeit pro Tag, bei einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden. Bei entsprechender Kompensation sind bis zu 60 Stunden pro Woche kurzfristig zulässig.

Belastungsgrenzen und Unfallrisiken
Ermüdung durch überlange Arbeitszeiten ist ein bekanntes Phänomen. Konzentrationsmängel und erhöhte Unfallgefahr sind die Folge. Besonders Beschäftigte in fortgeschrittenem Alter sind hiervon betroffen. In risikobehafteten Berufen, etwa auf dem Bau oder im Transportwesen, sind daher enge zeitliche Begrenzungen sinnvoll und notwendig. Nicht ohne Grund dürfen Lkw-Fahrer in der EU maximal neun Stunden täglich am Steuer verbringen.

Auch aus unternehmerischer Perspektive ist Vorsicht geboten: Unternehmen, die die Arbeitszeiten erhöhen, könnten Schwierigkeiten bekommen, Fachkräfte zu rekrutieren oder zu halten. In einigen Branchen gewinnt die Vier-Tage-Woche deshalb an Attraktivität.

Derzeit wird die Einhaltung von Arbeits- und Pausenzeiten in bestimmten Branchen häufig missachtet. Insbesondere kleinere Betriebe erwarten oftmals, dass sich die Arbeitszeit vollständig an ihren betrieblichen Bedürfnissen orientiert, unabhängig von gesetzlichen Vorgaben. Auch und gerade von Mitarbeitern in höheren Positionen wird häufig erwartet, dass sie sich nicht an solche Vorgaben haltten. Arbeitszeitgesetze werden in solchen Fällen nicht selten ignoriert oder als unverbindliche Empfehlung betrachtet.

Hinzu kommt, dass Kontrollen zur Einhaltung dieser Vorschriften nur selten stattfinden. Eine wirksame Überwachung durch die zuständigen Behörden ist die Ausnahme. Dabei wäre es naheliegend, die Kontrolldichte deutlich zu erhöhen und Verstöße konsequent sowie spürbar zu sanktionieren. Gerade unseriöse oder nicht regelkonform handelnde Arbeitgeber verschaffen sich durch diese Gesettzesverstöße einen unlauteren Wettbewerbsvorteil, auf Kosten der Beschäftigten, deren Gesundheit und Rechte gefährdet werden.

Mögliche Alternativen
Zur Finanzierung der Sozialsysteme könnten auch bislang wenig genutzte Quellen herangezogen werden. Etwa durch eine stärkere Besteuerung von Kapitalerträgen, Vermögen oder international tätigen Konzernen.

Gleichzeitig sollte differenziert werden, welche Lebensarbeitsleistung gesellschaftlich erwartet wird. Ein pauschales Renteneintrittsalter greift zu kurz. Wer mit 17 ins Berufsleben startet, hat mit 67 bereits 50 Jahre gearbeitet. Akademiker hingegen erreichen diese Marke meist erst mit etwa 75 Jahren.

Eine Lösung könnte darin bestehen, die Regelarbeitszeit auf 45 Erwerbsjahre festzulegen – mit abgestuften Boni für besonders belastende Berufe. Denkbar wären zum Beispiel:

  • Baugewerbe: Faktor 1,15 pro Jahr
  • Altenpflege: Faktor 1,20 pro Jahr (Belasung und ggf. Schichtdienst)
  • Nachtschichtdienste: Faktor 1,10 pro Jahr
  • Normal belastende Berufe: Faktor 1,00 pro Jahr

Diese Werte sind exemplarisch zu verstehen und müssten wissenschaftlich fundiert ermittelt werden. Ziel wäre eine faire und realistische Gestaltung des Arbeitslebens, die der physischen und psychischen Belastbarkeit des Menschen Rechnung trägt.

Die Frage, ob wir leben, um zu arbeiten, oder arbeiten, um zu leben, erhält in dieser Debatte eine neue Relevanz.

Politik unter Einfluss
Zweifel an der politischen Unabhängigkeit einiger Entscheidungsträger erschweren die Diskussion zusätzlich. Kritiker werfen führenden Politikern wie Friedrich Merz und Bettina Reiche Nähe zu Konzernen und Finanzakteuren vor. Beide verfügen über beachtliche Vermögen und haben berufliche Hintergründe, die weit entfernt vom Alltag vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer liegen.

Die Skepsis in der Bevölkerung wächst: Wird die Debatte über die Zukunft der Arbeit wirklich sachlich und im Interesse der Allgemeinheit geführt?

Fazit
Eine Anpassung der Lebensarbeitszeit erscheint notwendig, jedoch nicht pauschal, sondern differenziert und gerecht. Die Anforderungen verschiedener Berufsgruppen müssen ebenso berücksichtigt werden wie der Wunsch nach einem erfüllten Leben außerhalb der Arbeit. Außerdem muss endlich das Geld dort abgeschöpft werden, wo es gehortet wird. Ob die Politik diesen Spagat leisten kann, hält eine Mehrheit für unwahrscheinlich. Das Vertrauen in ihre Kompetenz und Unabhängigkeit ist vielerorts erschüttert.