Freie Fahrt fürs Rad auf der Heuchelheimer Straße – Stadt setzt Urteil des Verwaltungsgerichts um

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Radverkehrsführung an der Konrad-Adenauer-Brücke
An der Konrad-Adenauer-Brücke haben Radfahrende die Wahl, ob sie den Geh- und Radweg oder die Fahrbahn nutzen. Das Verwaltungsgericht hat die Benutzungspflicht des Radwegs und die Sperrung der Straße für Radverkehr aufgehoben.

Es war ein Paukenschlag kurz vor Weihnachten: Das Verwaltungsgerichts Gießen stellte am 20. Dezember fest, dass das seit rund 15 Jahre geltende Radfahrverbot auf der Heuchelheimer Straße rechtswidrig war und verpflichtete die städtische Straßenverkehrsbehörde, die Schilder zu entfernen und auch auf den zulaufenden Geh- und Radwegen die Radwegebenutzungspflicht aufzuheben. Die Stadt hat die Schilder nun komplett entfernt. Nun gilt „freie Fahrt fürs Fahrrad“ auf der bis zu achtspurigen Landesstraße.

Auf der Heuchelheimer Straße befand sich seit rund 15 Jahren eine Beschilderung, die Fahrradfahrenden die Nutzung der Straße in diesem Streckenabschnitt untersagte und diese verpflichtete, den ausgewiesenen Zweirichtungs-Geh- und Radweg und die Umleitung über die Straße „An den Hessenhallen“ zu benutzen. Ein von der Sperrung betroffenes Mitglied des ADFC Gießen wandte sich gegen dieses Verbot, weil die Verkehrsregelung schon dem Widmungszweck der Straße widersprach, denn die Straße ist auch für den Radverkehr gewidmet. Die verkehrsrechtlichen Anordnungen waren auch deshalb aufzuheben, weil die Stadt zu den angegebenen Gründen für das Radverkehrsverbot keine aktuellen Untersuchungen vorlegen konnte. Überdies war die Umleitungsstrecke nicht für den Radverkehr geeignet. Nachdem die Aufsichtsbehörden beim Regierungspräsidium Gießen und beim hessischen Verkehrsministerium nicht gegen die Sperrung einschritten und auch Hessen Mobil und die Polizei die Rechtswidrigkeit der Anordnung nicht erkannt hatten, hatte der betroffene Radfahrer Klage eingereicht.

Verwaltungsgericht: Radfahrverbot war rechtswidrig

Das Verwaltungsgericht teilte die Auffassung und wies darauf hin, dass es an einer plausiblen Grundlage für die Abwägung mit den widerstreitenden Nutzungsinteressen des Kraftfahrzeug- und Radverkehrs fehle. Die Stadt Gießen habe in tatsächlicher Hinsicht keine Untersuchungen veranlasst, die die von ihr angeführte Begründung des Verbots für Radverkehr an dieser Stelle nachvollziehbar erscheinen lassen. Außerdem habe die Stadt Gießen auch nicht alle wesentlichen Aspekte für die Geeignetheit der Umleitungsstrecke für den Radverkehr ermittelt. Das Gericht verurteilte daraufhin die Stadt zum Entfernen der Schilder.

Stadt verzichtet auf Berufung

Bereits im Januar hatte die Stadt Gießen das Urteil akzeptiert und darauf verzichtet, in Berufung zu gehen. Da die Stadt jedoch keine Anstalten machte, die Schilder zu entfernen, beantragte der Kläger die Zwangsvollstreckung beim Gericht. Daraufhin hat die Stadt nun die Schilder komplett entfernt, so dass Radfahrende auf der kompletten Strecke zwischen der Gießener Straße in Heuchelheim und der Lahnstraße in Gießen auf der Fahrbahn fahren dürfen. Auch aus dem Gewerbegebiet West kann nun wieder bequem zusammen mit dem Autoverkehr auf der Fahrbahn ausgefahren werden, statt bisher an drei Fußgängerampeln nacheinander auf Grün zu warten.

ADFC begrüßt Urteil

Der ADFC Gießen begrüßt das Urteil, schließlich setzt der ADFC sich seit Jahren bundesweit dafür ein, dass Radfahrende frei entscheiden können sollen, ob sie die Radwege nutzen wollen. Bereits 1998 wurde die allgemeine Radwegebenutzungspflicht von Bund und Ländern aus der StVO gestrichen, weil viele Radwege zu schmal sind und an den Einmündungen nicht nur bei linksseitigen Radwegen eine hohe Unfallgefahr besteht. Dem ADFC Gießen ist dabei klar, dass der Großteil der Radfahrenden weiterhin die bestehenden Geh- und Radwege und nur wenige Pendler und RennradfahrerInnen die neue Möglichkeit nutzen werden, die schnellere Route über die Landesstraße zu befahren.
Personen, die die neue Strecke ausprobieren wollen, empfiehlt der ADFC, die Strecke am Anfang erst mal abseits der Hauptverkehrszeiten zu befahren. Wenngleich die Straße mit ihren bis zu acht Spuren wie eine Autobahn wirke, lasse sie sich per Rad ähnlich gut befahren wie der Gießener Anlagenring, denn auf weiten Teilen der Strecke gilt Tempo 50 und Autos können bequem über die linke Spur mit dem außerorts vorgeschrieben Überholabstand von 2,00m überholen. Da auf der zweispurigen Konrad-Adenauer-Brücke Tempo 30 gilt, können dort flotte Radfahrende bequem im Verkehr mitschwimmen. Wegen des LKW-Verbots in weiten Teilen der Strecke lasse sich die Straße für Alltagsradfahrer recht gut befahren. Einzig das Linksabbiegen kann bei viel Verkehr schwierig sein, wobei es auch hier aufgrund der Ampeln immer wieder Lücken im Verkehr gibt, in denen man die Spur wechseln kann. Der ADFC bittet insbesondere in den nächsten Wochen Autofahrende wie Radfahrende um besondere Rücksicht auf der Strecke, denn es dauert gewöhnlich einige Zeit, bis sich alle Verkehrsteilnehmenden an die neue Verkehrszusammensetzung gewöhnt haben.

Keine Schrittgeschwindigkeit

Der ADFC lobt, dass die Stadt die bisherigen Geh- und Radwege nicht – wie sonst üblich – zu Gehwegen mit Freigabe für den Radverkehr gemacht hat, denn dann würde Schrittgeschwindigkeit gelten. Stattdessen hat die Stadt eine neue Variante umgesetzt und die Wege als „Geh- und Radwege ohne Benutzungspflicht“ ausgewiesen. Erkennbar ist dies durch die Markierung von weißen Rad- und Fußgängerpiktogrammen auf dem Weg. So ist erkennbar, dass es keine reinen Gehwege sind. Diese Möglichkeit sieht die Verwaltungsvorschrift zur StVO erst seit November 2021 vor. Die Stadt ist damit Vorreiterin in Hessen, auch wenn diese Lösung demnächst u. a. in Lich an den Ortseingängen in Richtung Hungen und Eberstadt angewandt wird.