Hungen | Die SSG Hungen/Lich darf in der Bezirksoberliga weiterhin vom Aufstieg in die Landesliga träumen. Am vergangenen Sonntag enthronte das brennende Piratenschiff den bisherigen Spitzenreiter Braunfels II auswärts im direkten Duell. Topfavorit Wetzlar ist mit nur einem halben Brettpunkt (Tordifferenz) auf dem zweiten Platz.
In freundschaftlicher Atmosphäre wurde in Braunfels nichtsdestotrotz verbissen gekämpft. Hungen/Lich geriet blitzschnell in Rückstand als der topmotivierte und in dieser Saison großartiges Schach spielende Björn Stiller an Brett 5 gegen den Franzosen von Udo Schneider in die bittere Fesselung der Dame d2 durch Läufer b4 lief, er hatte schlichtweg den Läufer vergessen und erwartete nur Damentausch. Persönlich geknickt erwägte der Mannschaftsführer bereits die Abreise, besann sich aber des Besseren und hätte da auch Einiges verpasst. Völlig unbeeindruckt vom 0:1 zog das Team Stillers taktische Marschroute durch. Der oft vielgescholtene Computerschachexperte Michael Ranft an Brett 6 spielte eine Positionspartie aus einem Guß und verbrauchte auch nicht übermäßig Zeit. In einem Doppelturm-und-Springer-Endspiel
gegen einige kleine Bauernschwächen spielte er wie eine Maschine und ließ dem stark eingeschätztem Braunfelser Urgestein Rudi Förster keine Chance. 1:1. Brutal stark auch Student Christoph Soppa an Brett 4 gegen Dr. Horst Gasser. Mit der skandinavischen Verteidigung rochierte er lang und entfachte einen dermaßenen Kombinationswirbel gegen den kurzrochierten König Dr.Gassers, daß Dieser in bereits schlechterer Stellung einen unmöglichen Zug produzierte. Da der g-Bauer bereits angefasst wurde blieb nur die sofortige Aufgabe des Braunfelsers. 2:1. Schlechter lief es für den unglaublichen Marco Hofmann an Brett 8 gegen Klaus Kohlmeyer. Sichtlich gut präpariert entschärfte er Kohlmeyers Bird-Eröffnung und stand womöglich bereits besser, als es seinem Braunfelser Gegner irgendwie gelang über f6 in die Fianchettostellung Hofmann einzudringen. 2:2. Einen fast schon erwarteten Big Point landete dann Joachim Lehwalder diesmal an Brett 2 mit der üblichen Holländisch/Owen-Hybrid-Eröffnung gegen Bernd-Ulrich Thiel. Nachdem Lehwalder in den vorherigen Partien trotz überlegener Spielführung einige Punkte liegen ließ, marschierte er nach zähem Spielverlauf wie ein zementartiger Black-Sabbath-Song der 70'er Jahre bezeichnenderweise mit
allen drei Schwerfiguren in die gegnerische Königsstellung ein und hinterließ Tod und Vernichtung. 3:2. Rene Gabel an Brett 3 hatte sich gegen Achim Kriesch im Caro-Kann die simple mannschaftsdienliche Maßgabe zu rochieren und einfach zu spielen zu eigen gemacht. Siegchancen wären durchaus durch ein unklares Opfer auf e6 vorhanden gewesen, Gabel verzichtete auf den Einschlag, den er in einem Open sicherlich gemacht hätte. Kriesch erhielt zwar im Anschluß noch Initiative, aber Gabel federte die Sache sicher zum remis ab. 3,5:2,5. Im Anschluß konnte Gerd Euler an Brett 1 gegen Christoph Bolte, der erhebliche Gegenwehr leistete, im Franzosen ein Dame plus Turm Endspiel mit Mehrbauern studienartig gewinnen, allerdings hatte Bolte zuvor die Abwicklung in ein remises Turmendspiel übersehen. 4,5:3,5 Dementsprechend war die völlig zerklüftete Stellung aus dem Leningrader von Dr.Manuel Hölß an Brett 6 gegen Claus Rodig nicht mehr entscheidend für den Mannschaftssieg, sehr wohl aber für die Tabellenführung. Die gesamte Partie entzieht sich menschlicher Bewertung, letztlich blieben der Leningrader Läufer, Dame und Turm gegen Springer, Dame und Turm mit einer geringen Anzahl Bauern, die wie hingewürfelt aussahen übrig. Remis, eindeutig, und der halbe Punkt der die Tabellenführung bedeutet.
Weiterhin werden der SSG Hungen/Lich nur geringe Aufstiegschancen zugetraut, ist aber derzeit die Nr.1. Mit dem letztlich völlig verdienten, angekündigtem und überzeugendem Auswärtssieg hat die SSG Hungen/Lich allerdings deutlich eine Duftmarke hinterlassen.
Im Anschluß ging es mit den befreundeten Braunfelsern noch zum Abendessen in der Pizzeria.
Konkurrent Wetzlar ist leider im Aufstiegsduell geschwächt durch den Tod des großen alten Manns des Wetzlarer Schachs, Wolfgang Rufft. Seine persönlichen Verdienste und Erfolge aufzuzählen ist Legion. Auch in der laufenden Saison war er einer der Topscorer und nur Björn Stiller konnte ihm im letzten Duell ein remis abzwacken. Ihr Autor hat die Freude erlebt mit ihm in der Oberliga, der dritthöchsten deutschen Spielklasse sowohl mit Atzbach als auch mit Wetzlar spielen zu dürfen. Wolfgang Rufft war auch von seiner höflichen und zurückhaltenden Art ein großer Mann, auf jeden Fall selbstbewußt, er hatte es nicht nötig sich groß darzustellen. Er war es. Es ist noch zu erwähnen, daß er sich trotz des fortgeschrittenen Alters einen jugendlichen Geist bewahrt hat, man schreibt nicht umsonst im Präsens, und wahrscheinlich hätte er noch eine Woche vor seinem Tod einen Schwimmwettkampf gegen ihren Autor gewonnen. Die Chancen beim Schach- 50:50. Man hat einen echt Großen verloren.
Es wird einen heißen Kampf um den Aufstieg geben.
Wird es der Mannschaft gelingen die unvorsichtige Äußerung ihres Vereinspräsidenten Klaus Jakob, er wolle noch mal irgendwann Landesliga spielen, wahrzumachen? Die zweite Mannschaft grüßt derweil von der Tabellenspitze der Bezirksliga.
Das Restprogramm von Hungen und Wetzlar:
Bezirksoberliga: Runde 8 am 02.04.2017 um 14:00 Uhr
SSG Hungen-Lich 1 - Biebertaler Schachfreunde 2
Sportstätte: Kulturzentrum Alte Grundschule, Am Zwenger 8, 35410 Hungen
SF Anderssen Wetzlar 1 - Schachfreunde Battenberg 1
Sportstätte: Hinterer Gemeinderaum der ev. Kreuzkirchengemeinde, Stoppelberger Hohl 42, 35578 Wetzlar
Bezirksoberliga: Runde 9 am 07.05.2017 um 14:00 Uhr
SC Königsspr. Gladenbach 1 - SSG Hungen-Lich 1
Sportstätte: Schlossgarten, Karl-Waldschmidt-Str. 9, 35075 Gladenbach
SK Marburg 1931/72 4 - SF Anderssen Wetzlar 1
Sportstätte: Bürgerhaus Marburg-Wehrda, Freiherr von Stein Strasse 1, 35041 Marburg
Jeder, der Schachspielen kann, egal wie gut, ist willkommen.
Schachabend ist immer Donnerstags, 20:00 in der alten Grundschule am Zwenger in Hungen.