Adventkalender 2022- Tür 11

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Ein Licht geht um die Welt! Es ist das Licht der Sternenkinder. Weihnachten steht vor der Tür. Doch es gibt viele Familien, mehr als man sich vorstellen mag, die eines sehr vermissen. Sie vermissen ihr viel zu früh gestorbenes Baby, ihr Kind, Enkelkind oder Geschwisterchen. Diese kleinen Seelen nennt man Sternenkinder. Heute ist der Tag, an dem man um 19 Uhr eine Kerze ans Fenster stellt, um diesen Sternenkindern zu gedenken. Das passiert Weltweit. Durch die Zeitverschiebung, wird eine Welle der kleinen Lichter durch die Nacht gehen. Das Licht der Hoffnung und der Liebe für unsere Sternchen. Aus diesem Grund habe ich dieses Gedicht für heute augesucht. Ein Gedicht der Hoffnung für alle Sternenkinder und ihre Familien.

Der Seelchenbaum

Weit draußen, einsam im öden Raum
steht ein uralter Weidenbaum
noch aus den Heidenzeiten wohl,
verknorrt und verrunzelt, gespalten und hohl.
Keiner schneidet ihn, keiner wagt
vorüberzugehn, wenn’s nicht mehr tagt,
kein Vogel singt ihm im dürren Geäst,
raschelnd nur spukt drin der Ost und West;
doch wenn am Abend die Schatten düstern,
hörst du’s wie Sumsen darin und Flüstern.
Und nahst du der Weide um Mitternacht,
siehst sie von grauen Kindlein bewacht:
Auf allen Ästen hocken sie dicht,
lispeln und wispeln und rühren sich nicht.
Das sind die Seelchen, die weit und breit
sterben gemußt, eh’ die Tauf’ sie geweiht:
Im Särglein liegt die kleine Leich’,
nicht darf das Seelchen ins Himmelreich.
Und immer neue, – siehst es du? –
in leisem Fluge huschen dazu.
Da sitzen sie nun das ganze Jahr
wie eine verschlafene Käuzchenschar.
Doch Weihnachts, wenn der Schnee rings liegt
und über die Länder das Christkind fliegt,
dann regt sich’s, pludert sich’s, plaudert, lacht,
ei, sind unsre Käuzlein da aufgewacht!
Sie lugen aus, wer sieht was, wer?
Ja freilich kommt das Christkind her!
Mit seinem helllichten Himmelsschein
fliegt’s mitten zwischen sie hinein:
“Ihr kleines Volk, nun bin ich da –
glaubt ihr an mich?” Sie rufen: “Ja!”
Da nickt’s mit seinem lieben Gesicht
und herzt die Armen und ziert sich nicht.
Dann klatscht’s in die Hände, schlingt den Arm
ums nächste – aufwärts schwirrt der Schwarm
ihm nach und hoch ob Wald und Wies’
ganz graden Weges ins Paradies.

Ferdinand Avenarius (1856 – 1923)

Nicole Freeman
Berufstätiger Familienmensch,humorvolle Romantikerin. Seit neustem Autorin mit Autoren-webshop. https://publish.bookmundo.de/site/?r=userwebsite/index&id=nicole_freeman