Kritischer Blick auf Gießens Erinnerungskultur

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Referentin Prof. Dr. Hamann

Professorin Dr. Hannah Ahlheim überprüfte lokale Erinnerungskultur

Das unangenehme Wetter konnte eine große Zahl von Gästen und Besuchern nicht  abhalten, der Einladung des Oberhessischen Geschichtsvereinds in den Netanya-Saal des Alten Schlosses  zu folgen. Zum Vortrag über  “Lokale Erinnerungskultur-Konflikte und Chancen der ‘Aufarbeitung’ von Vergangenheit vor Ort ” mit Referentin Prof. Dr. Hannah Ahlheim aus Gießen konnte Vorsitzender Dr. Michael Breitbach darauf verweisen, dass ein Thema behandelt werde, das eine wichtige Aufgabe für jeden lokalen Geschichtsverein darstelle.  Die Referentin, die an der Gießener JLU Geschichte lehrt, hatte ihre Ausführungen in vier Fragestellungen gegliedert und nannte das Holocaust-Denkmal in Berlin als Musterbeispiel eines Erinnerungsortes. Dabei unterschied sie zwischen dunklen und hellen Erinnerungsorten, wobei die Zahl der dunklen bei weitem überwog, was  durch die Nazizeit und den Holocaust begründet ist.                                                       In Gießen widmete sie sich zunächst unter der Fragestellung “Kann das weg ?”  den Denkmälern für das Immelmann- Stukageschwader und die Piloten  des “Greif” , die Coventry  bombardierten. Die  Auslagerung des Immelmann-Denkmals in reduzierter Form nach Staufenberg war auch dort  nicht unumstritten, ebenso wie die Diskussion um die in Gießen hinzugefügte trauernde Witwe und der Text  einer Tafel  “offen für Diskussionen in jede Richtung”. In der Diskussion um die “Gießener Köpfe” ging Dr. Ahlheim auf die Person der Widerstandskämpferin und bekennenden Kommunistin Ria Deeg ein, der diese Ehrung nicht zuteil geworden sei . Andererseits werde dem Autor Glaubrecht, dem unter diesem Pseudonym schreibenden Pfarrer Oeser, trotz offenem Antisemitismus in seinen Erzählungen, sogar eine Straße gewidmet. Als von Land und Bund geförderten hellen Erinnerungsort bezeichnete Ahlheim den Meisenbornweg,erster Anlaufsort für 900 000 DDR-Flüchtlinge, vorher für Vertriebene, nachher für Asylbewerber .Auch dieses Projekt als Denkmal für die Demokratie sei diskutabel. Selbst am Beispiel “Paulskirche” könne man über die gewünschte “Visitenkarte der Menschlichkeit” reden.

Auf die Ausgrabungen der Reste der Gießener Synagoge in der Südanlage eingehend,stellte Dr. Ahlheim klar, dass die Pläne durch den Denkmalschutz der Kongresshalle stark beeinflusst würden.Das sei aber nicht zu vergleichen mit Grabungen aus der Antike. Der dunkle Charakter dieses Erinnerungsortes dürfe nicht verloren gehen. Zum Verweilen gebe es genügend andere Orte. Sie stellte abschließend fest: “Es muss Orte geben, die schwierig sind, über die nachgedacht werden soll”

Referentin Prof. Dr. Hannah Ahlheim
Gespräch Dr.Hannah Ahlheim und Dr. Michael Breitbach

und erhielt reichen und verdienten Beifall. Und eine Menge Gesprächsbedarf war bei den Besuchern geweckt worden.Text und Bild: Dr. Hans-Wolfgang Steffek M.A.