“Energie autarker Landkreis Gießen bis 2030” wurde 2011 in einer Kreistagssitzung beschlossen

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Pohlheim – In Informations- und Diskussionsveranstaltungen, die ich in den vergangenen Monaten besuchte, wurde immer wieder nach der Höhe des Stromverbrauchs in der eigenen Kommune gefragt. In der Regel blieb die Frage unbeantwortet, da sich kaum jemand darum kümmert und in den häufigsten Fällen niemand wusste, wo diese Zahlen zu finden sind.

Wo finde ich Zahlen zum Energieverbrauch in Kommunen

Daher begann ich selbst nachzusehen, wo ich konkrete Angaben finden kann. Auf der Hompage des RP Gießen sind Zahlen zu den Kommunen unter dem Stichwort „Energierechner Mittelhessen“ öffentlich zugänglich. Zum Vergleich der Verbrauchswerte in den Kommunen muss man die Zahlen für jede Kommune einzeln heraussuchen.

„Energierechner Mittelhessen“ auf der Hompage des RP Gießen

Deshalb habe ich diese Zahlen für meine vergleichende Betrachtung selbst in einer Tabelle zusammengefasst. Insgesamt brauchten alle 17 Kreiskommunen zusammen mit der Stadt Gießen 1,088 Terawattstunden elektrische Energie oder 1.088.375.240 Kilowattstunden im Jahr 2019.

1.088.375.240 Kilowattstunden oder1,088 Terawattstunden im Jahr 2019

„Lässt sich diese benötigte Menge elektrischer Strom durch Windenergieanlagen erzeugen?“, ist eine häufig zu hörende Frage. Schaut man nach Rabenau, lässt sich die Frage klar mit „ja“ beantworten. Ansonsten müssen alle anderen Kommunen noch viel tun, um einen ähnlich hohen Versorgungsgrad an erneuerbarer Energie (EE) zu erreichen wie Rabenau.

Mit Windenergie lässt sich der benötigte Strom erzeugen!

Windenergieanlagen (WEA) mit jeweils sechs Megawatt (MW) Leistung, ähnlich den Typen, die in Rabenau installiert wurden, liefern bei guten Windverhältnissen 15.000 bis zu 20.000 MWh elektrischen Strom im Jahr. Um den gesamten Strombedarf des Landkreis Gießen zusammen mit der Stadt Gießen durch WEA zu erzeugen, müssten demzufolge mindestens circa 55 WEA in der Region Strom erzeugen. Um den zusätzlichen Strombedarf, entstehend durch den Einbau von Wärmepumpen abzudecken, müssten insgesamt die WEA-Zahl mindestens verdoppelt werden. Berücksichtigt man dann noch den Strombedarf, entstehend durch die Elektromobilität, könnten geschätzt einhundertfünfzig bis zweihundert WEA mit jeweils sechs Megawatt Leistung realistisch und relativ kurzfristig nötig sein. Der Kreistag hatte 2011 beschlossen, dass der Landkreis Gießen im Jahr 2030 Energie autark sein solle.

Kreistag hatte 2011 beschlossen: Landkreis Gießen im Jahr 2030 Energie autark!

Hätte die Landkreispolitik dieses Ziel nicht nur beschlossen, sondern mit jährlich steigendem politischem Druck seit 2011 vorangetrieben, könnten wir dem Ziel der autarken Energieversorgung schon nahe sein. Wäre ab 2012 in jedem Monat eine WEA mit sechs MW-Leistung gebaut worden, hätten wir mittlerweile über einhundert WEA in Betrieb. Bei gutem Wind könnte die Spitzenleistung von über zwei Terawattstunden Windstrom den Kreis Gießen ähnlich gut versorgen, wie das in Rabenau momentan schon der Fall ist.

Vorbildkommune Rabenau – ein Beispiel für andere Kommunen

Installierten die Bürger im Landkreis Gießen noch viele PV-Anlagen auf den Dächern der Gebäude, könnte die Volatilität (Schwankungen) des Windstromes durch Ergänzung durch PV-Strom im Netz „geglättet“ werden. Weiter könnten Schwankungen in einem bestimmten Umfang durch Batteriespeicher und Wärmekraftkopplung vermindert werden. Diese Phänomene sind seit Jahrzehnten bekannt und die meisten Probleme bei der Umstellung von fossiler Energie auf „erneuerbare Energie“ hätten daher schon längst gelöst sein können. Bis 2030 bleiben den Menschen im Landkreis Gießen noch gut sechs Jahre. Schaffen es die Einwohner des Landkreises in dieser Zeit jeden Monat eine WEA mit sechs Megawatt zu bauen und Photovoltaik in der benötigten Größenordnung auf den vielen Dächern im Kreisgebiet zu installieren, dann würden wir dem vom Kreistag beschlossenen Ziel der autarken Energieversorgung im Landkreis Gießen ein gutes Stück weit näherkommen.

Stromverbrauch der einzelnen Kommunen im Landkreis Gießen 2019

Quelle: Energierechner des Regierungspräsidiums Gießen

Ort Einwohner Stromverbrauch 2019 kWh Anteil erneuerbare Energien Kilowattstunden pro Einwohner
1 Gießen 90.131 356.538.282 47 % 3956
2 Heuchelheim 7.891 128.011.109 9 % 16222
3 Lollar 10.399 68.292.836 7 % 6567
4 Hungen 12.642 66.054.162 17 % 5225
5 Laubach 9.604 49.117.858 9 % 5114
6 Lich 13.880 46.641.208 20 % 3360
7 Buseck 12.973 44.032.618 22 % 3394
8 Pohlheim 18.049 41.795.874 11 % 2316
9 Langgöns 11.690 41.637.782 12 % 3562
10 Grünberg 13.706 41.599.865 65 % 3035
11 Linden 13.111 39.905.844 29% 3044
12 Wettenberg 12.619 37.205.948 10 % 2948
13 Reiskirchen 10.329 33.284.522 10 % 3222
14 Staufenberg 8.448 26.329.432 17 % 3117
15 Biebertal 10.055 23.342.449 10 % 2321
16 Fernwald 7.046 21.543.295 31 % 3058
17 Rabenau 5.060 13.700.306 364 % 2708
18 Allendorf 4.034 9.341.850 9 % 2316
Summen im Landkreis Gießen 271.667 Einwohner 100 %

1.088.375.240 kWh

31 %

337.396.324

4006

5 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Sann,
    ich habe Ihre Rechenbeispiel nachvollzogen und komme auf andere Werte:

    Ihre Ausgangslage ist, dass eine WEA mit 6 MW Nennleistung 15.000 bis 20.000 MWh Strom im Jahr liefert. Zurückgerechnet würde eine Volllaststundenzahl von 2.500 bis 3.333 h ergeben. In der Realität darf man aber von höchstens 2.000 h ausgehen und man erhält dann einen Stromertrag von 12.000 MWh pro Jahr. Die benötigte WEA-Anzahl wäre damit 90.
    Die realistische Volllaststundenzahl von Windenergie erhalte ich aus den veröffentlichten Strommarktdaten smard der Bundesnetzagentur.

    Die um 64% höher angesetzte Volllaststundenzahl wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Kreis Gießen ausschließlich 6 MW-Anlagen und vollkommen isoliert betrachtet würde, was ja nicht der Fall ist. WEA speisen üblicherweise alle in das gemeinsame Übertragungsnetz ein.

    • Hallo Herr Zierenberg,
      Hersteller von Windenergieanlagen (WEA) verwenden diese höheren Zahlen. Da ich keine WEA herstelle oder verkaufe, habe ich keine Probleme mit dem von ihnen zitierten Limit von 2000 h in der Realität. Es müssten demnach bis 2030 noch zahlreiche WEA im Landkreis Gießen gebaut werden, um den Kreistagsbeschluss von 2011 zu erfüllen. Dazu fehlen meiner Meinung nach geeignete Flächen im Raumordnungsplan. Leider habe ich bisher keine Einschätzungen gefunden, wieviele WEA auf den ausgewiesenen Windenergievorrangflächen gebaut werden könnten.

      • Guten Tag Herr Sann,
        danke für Ihre Reaktion auf meinen Kommentar vom 28. Juli. Meine Erfahrung ist, dass der Bürger gut beraten ist, wenn er die Angaben der Projektierer von Windparks grundsätzlich kritisch sieht. Das betrifft die immer verschwiegene tatsächliche Volllaststundenzahl und auch das Layout von Windparks. Im Falle des geplanten Windparks im Fernewald wurde den Bürgern von Auslegungskriterien folgendes berichtet: Mastabstand in Hauptwindrichtung 700 – 800 m, senkrecht zur Hauptwindrichtung 450 – 500 m. Damit kann man die Anlagenzahl auf einer Vorrangfläche graphisch gut bestimmen. Im Falle Fernewald sind dies 6 Anlagen, damit ist das Limit schon erreicht, mehr geht nicht. Die Ausbauziele sind damit schon sehr eingeschränkt. Das hat man zu akzeptieren. Aber die Projektierer lassen sich immer neue “Tricks” einfallen und sagen den Bürgern nur die Halbe Wahrheit, wie im Falle der Volllaststundanzahl.

  2. Danke Herr Sann für Ihren sehr gut recherchierten und informativen Artikel.

    Gerade in der öffentlichen Diskussion über Windenergieanlagen dominieren meiner Meinung nach zu sehr die nachgeordneten Teilaspekte, wie optisches Bild einer verspargelten Landschaft.

    Ich streite nicht ab, dass diese Argumente bei einer Gesamtsicht berücksichtigt werden sollten. Aber mir persönlich stehen die von Ihnen aufgeworfenen Fragen näher:

    Also der aktuelle und in naher Zukunft in der (nicht nur, aber auch) Region erzeugte bzw. verbrauchte Strom.

    An erster Stelle müßten die verschiedenen Möglichkeiten des Stromsparens in der kapitalistischen Wirtschaft, aber auch im kommunalen und privaten Bereich stehen.

    Fachleute weissen immer wieder darauf hin, dass da noch viel Luft nach oben ist.

    Ganz kurz: Die beste Windenergieanlagen ist die, welche wegen massiven Stromsparen erst garnicht gebaut werden muss.

    Herr Sann, es ist richtig, dass die örtliche Bevölkerung vertreten durch Kommunalparlamente – falls die Mehrheiten danach sind – in vielen Bereichen der Thematik steuernd eingreifen kann, aber ich gebe zu bedenken, dass in anderen Bereichen die durch die Gesamtbevölkerung gewählten Landes- bzw. Bundesparlamente gefordert ist.

    Sie schrieben zum Beispiel:

    (….) “Berücksichtigt man dann noch den Strombedarf, entstehend durch die Elektromobilität, könnten geschätzt einhundertfünfzig bis zweihundert WEA ((Windenergieanlage)) mit jeweils sechs Megawatt Leistung realistisch und relativ kurzfristig nötig sein.” (….)

    Habe ich richtig gelesen? So viele in unserer Region?

    Herr Sann, ehrlich ich kann mir das nicht vorstellen. Für mich logisch ist, dass die Privatautos mittelfristig abgeschafft werden müssen! Und nicht nur wegen des nicht zu liefernden Stromverbrauchs, sondern auch aus den anderen Umweltgründen (Ressourcenverbrauch, Lärm, Landverbrauch, Verkehrstote …..)!

    Sicher für viele autosüchtige Mitbürger keine guter Ausblick. Aber ich denke, da müssen wir durch. Oder wollen wir wirklich unseren Kindern und Enkelkindern eine total versaute Welt übergeben?

    • Hallo Herr Wagner,
      wenn sie die quantitaven Angaben berücksichtigen, die Herr Zierenberg in seinem Beitrag zu meiner Betrachtung als “verpflichtend” zitiert, dann bilden einhundert bis zweihundert Windenergieanlagen mit sechs MW Leistung eine Grundlage der zukünftigen Stromversorgung. Bei steigenden Strombedarf im Heizungsbereich steigt dann deutlich die Zahl der WEA und ebenso durch den Strombedarf im Mobilitätsbereich. Wieviele WEA zukünftig tatsächlich installiert und betrieben werden müssen, hängt von den Menschen ab, die für ihre “Lebensqualität” den elektrischen Strom haben wollen. Ob es letztendlich zweihundert, dreihundert oder mehr WEA sein müssen, die elektrischen Strom zusammen mit großen PV-Anlagen für die Sicherung von “Lebensqualität” liefern müssen, wird von dem Verhalten unserer Kinder und Enkelkinder abhängen. Manche Menschen hoffen sogar auf neue, bisher unbekannte Möglichkeiten der Energieumwandlung zur Erzeugung von elektrischem Strom oder Heizungswärme. Als ich mir die Tabelle mit den 18 Kommunen zusammenstellte, wollte ich mir mit diesen Zahlen selber die Größenordnungen in den Kommunen vor Augen führen.