Gießen | Egal, ob junge oder ältere Frauen, egal ob am Arbeitsplatz, an der Universität oder auf der Straße - jede Frau hat bereits sexuelle Belästigung erlebt. Die meisten Frauen schweigen darüber, denn sexuelle Belästigung gilt als normal, so dass die Begebenheit gerne heruntergespielt und die Frau aufgefordert wird, die Angelegenheit nicht so eng zu sehen.
Als Laura Bates, eine britische Journalistin, sich dazu entschied, ihre vielen Erlebnisse von sexueller Belästigung öffentlich zu machen, andere Menschen einlud, dies ebenfalls zu tun und dafür einen Twitter-Hashtag mit dem Titel #everydaysexism einrichtete, erhielt ihr Hashtag innerhalb einer kurzen Zeit über 50.000 Erlebnisberichte von Frauen, die- wie sie- Alltagssexismus ausgesetzt waren und sind. Dies zeigt, die Relevanz dieses Problems, das für Frauen im Jahre 2014 immer noch besteht.
Sexuelle Belästigung jedoch als eine reine Frauenangelegenheit zu begreifen ist Teil des Problems, das Frauen das Leben so schwer macht. Mit der Aussage, dass sexuelle Belästigung ein Frauenthema ist, aus dem Männer sich lieber heraushalten, wird der Fokus von den Männern weg und auf die Frauen gelenkt.
Meine Arbeit als Gründerin der Frauenrechtsorganisation Ladies´ Team e. V. sehe ich daher u. a. in dem Bestreben, Sie, meine Herren, in die aktive Arbeit und den engagierten Kampf gegen sexuelle Belästigung von und sexuelle Gewalt an Frauen einzubeziehen. Dass Sie neben den Frauen die volle Verantwortung beim Thema sexuelle Belästigung übernehmen, meine Herren, ist nicht nur etwas, was schön zu wissen ist, sondern Ihre Verantwortung ist die fundamentale Voraussetzung für eine langfristige Reduzierung, Beendung oder Prävention von sexueller Belästigung von Frauen sowie Mädchen.
Es ist dringend an der Zeit, dass wir sexuelle Belästigung als Angelegenheit sehen, die Männer mindestens genausoviel angeht, wie Frauen. Indem man sexuelle Belästigung endlich als Männerangelegenheit begreift, was sie im Grunde genommen schon immer war, nimmt man Männern die Gelegenheit, sich "vornehm aus der Affäre zu ziehen", etwa mit Sprüchen wie: "Das ist doch nicht mein Problem" oder "Ich befasse mich mit so etwas nicht". Mein großes Anliegen ist es, ein Klima zu schaffen, das Männer dazu ermuntert, sexuelle Belästigung, als ihr ureigenes Thema zu betrachten und entsprechend zu handeln.
Dabei gilt: Je mehr Einfluss, Macht und Führungsposition Sie als Mann innehaben, desto mehr Verantwortung tragen Sie. Ob in der Familie, im Bekanntenkreis oder im Berufsleben, ob in den Medien, in der Politik oder im Sport, auf welcher Ebene Sie als Mann beruflich auch tätig sind, ich ermutige Sie dazu, Ideen zu sammeln, wie Sie Ihre Plattform dazu nutzen können, sexuelle Belästigung an Frauen / Mädchen zu thematisieren, und zwar mit dem Ziel, sie zu beenden oder zu vermeiden, z. B. durch Ansprechen von Männern und männlichen Jugendlichen und Kindern oder die Zusammenarbeit mit Frauen sowie Frauenrechtsorganisationen.
Um effektiv handeln zu können, ist es auch notwendig, dass Sie sich Wissen aneignen. Bitte setzen Sie sich mit dem Thema auseinander. Lernen Sie von Frauen, was sexuelle Belästigung konkret für diese bedeutet, welche Erfahrungen sie damit gemacht haben, wie häufig das Problem in ihrem Leben vorkommt und wo die Dynamiken und die Verhaltenmuster liegen, die zu sexueller Belästigung führen können.
Nachdem Sie sich über das Thema bewusst geworden sind und entsprechendes Wissen gesammelt haben, ist es unabdingbar, umgehend aktiv zu werden. Die Frage ist hier: Was können wir gegen sexuelle Belästigung tun? Eine Möglichkeit der Unterstützung ist es, dass Sie beginnen, sexistische Verhaltensweisen und Haltungen Ihrer Geschlechtsgenossen zu hinterfragen, anstatt bequem abzuwarten, bis Frauen dies selbst "erledigen". Es ist notwendig, frauenverachtende Aussagen zu unterbrechen und die Urheber dieser Aussagen zur Rede zu stellen und gegen solche Aussagen zu rebellieren.
Darüber hinaus ist es notwendig, dass Väter in der Erziehung ihrer Söhne, dafür Sorge tragen, dass folgende Punkte gelebt werden: sexuelle, psychische oder physische Gewalt an Frauen ist verachtenswert, unmännlich, unmenschlich sowie unakzeptabel und darf niemals toleriert, geschweige denn begangen werden. Eine rigorose Ablehnung sowie vehemente Bekämpfung von sexueller Gewalt gehört in jede angemessene männliche Haltung. Es gilt hier außerdem, die Frage zu beantworten, wie wir es schaffen, die gesellschaftlichen Normen dahingehend zu verändern, dass sie keine sexuelle Belästigung mehr produzieren können.
Sie sind gefragt beim Thema sexuelle Belästigung, meine Herren, denn vor jeder sexuellen Belästigung einer Frau steht immer die Entscheidung eines sexuell belästigenden Mannes. Bitte nehmen Sie Ihre Pflicht wahr - in der Familie, im Beruf, in ihrem Freundeskreis, ihrem Umfeld sowie in ihrem alltäglichen Leben.
Abschließend danke ich Ihnen, meine Herren, im Voraus dafür, dass Sie das Thema sexuelle Belästigung von Frauen bewusst zu Ihrem Thema machen und aktiv an der Abschaffung von Alltagssexismus mitwirken.