Gießen | Was stimmt eigentlich mit dem Germanen nicht? Ein Blick in den Kalender zeigt, morgen steht ein Feiertag an. Diese Information setzt im Gehirn des Deutschen scheinbar gewisse biochemische Prozesse frei, die ihn zu unreflektierten Hamsterkäufen nötigen. Schon vor der Parkplatzauffahrt, wo freundliche Polizisten den Verkehr regeln, staut sich der Verkehr mehrere Kilometer. Anwohner vermieten ihre Privatparkplätze zu horrenden Mietpreisen und erheben ab einer Gesamtparkdauer von über 30Minuten bereits saftige Zuschläge. Aber auch als Fußgänger hat man es nicht leicht, gerade für älter Mitarbeiter ist es eine Herausforderung über die Motorhauben der teilweise Stoßstange an Stoßstange wartenden Fahrzeuge zu kletter. Teilweise werden sie ein Stück auf dem Servierwagen mitgenommen von welchem das Rote Kreuz die Menschen mit Getränken und Decken versorgt.
Hat man dieses Hindernis überwunden kann man sich gleich für einen Einkaufswagen anstellen. Es sind noch genau 2 Exemplare da. Der eine verfügt dabei nur noch über 3 Räder, der andere ist so mit der Haltekette verkeilt das ein gewaltfreies lösen de facto ausgeschlossen
ist. Wenn die ersten Funktionsfähigen Warentransportvehikel durch meiste betagte Kundschaft zurück gebracht werden, stellt das die Geduld der wartenden auf ganz neue Proben. Es könnten sich Dialoge wie der folgende entspinnen. A: „Verzeihung, dürfte ich ihren Wagen übernehmen…“ B: „Da ist noch mein Euro drin“ A: „Ja, sehen sie ich gebe ihnen diesen Euro und dann…“ B: „Da ist noch mein Euro drin“ A: Deswegen gebe ich ihnen ja diesen…“ Je nach Alter der Teilnehmer, Verknappung der Wagen und Restleistung der Hörhilfen Batterie kann sich dieser Dialog nahezu im Wortlaut mehrere Minuten ziehen. Hat man schließlich aufgegeben wartet man also noch die wenigen Augenblicke bis die arthritische Hand den Bolzen in die Wagensicherung geschoben und das Geldstück befreit hat
Um dem Kundenansturm vor Feiertagen ein wenig Herr zu werden regelt heute ein Wachschutz das Betreten des Supermarktes. Es wurden weiträumig verteilte Wellenbrecher aufgestellt um einer Massenpanik und Stampede vorzubeugen. Ivan, Igor und Yuri an der Tür lassen die Kunden in 10 Blöcken in den Laden.
Schon beim Gemüse entdeckt der Kunde die ersten freien stellen. Um in den drohenden Konsumfreien 24 Stunden Gesund zu bleiben sind fleißig Obst und Gemüseerstanden worden. Bis auf ein paar schrumpelige Bio Äpfel und zerdrückte Weintrauben ist nichts mehr da. Auch bei den Brot und Backwaren sieht das Bild traurig aus. Ein paar Rollen Pumpernickel, 2 zum Großteil zerbröselte Schwarzbrotscheiben und eine Packung rosa glasierte Donuts haben die Überlebenswilligen zurück gelassen. Was bereits auffällt ist der klebende Boden. Neben zertretenen Trauben, matschigen Bananenresten und ausgelaufenen Öl Flaschen erkennt man mehlige Fußspuren die bis zu den Backzutaten führen. Man folgt der Fährte und gerät in eine wüste Schlägerei um das letzte verbliebende Mehlpaket. Einer Tradition folgend die Nachzucht an Feiertagen abwechselnd mit frischen Waffeln oder amerikanischen Pancakes zu verwöhnen setzt man ungeahnte Kräfte frei. Nach dem man den Gegner mit einem Gogoplata (Würgegriff) unschädlich gemacht hat kann ihm das Mehl aus den schlaffen Fingern gewunden werden.
Alarmiert durch die laut vorgetragene Information eines weiteren Kunden, dass nur noch 7 Pakete Eier verfügbar sind, bewaffnet man sich mit Konservendosen. Diese können auf dem Weg bereits als Wurfgeschosse genutzt werden. 800g „Königsberger Klopse aus wenigen Metern an die Schläfe geschleudert sollten die Beine des getroffenen zumindest kurzzeitig etwas weicher machen. Geschafft Kurz einen Kinderwagen um getreten verschaffte man sich die nötigen Sekunden Vorsprung vor der verstörten Mutter. Was brauchte man noch für Pfannkuchen? Milch! Das könnte kompliziert werden, vor den Paletten mit der Milch hat sich bereits ein Knäul gebildet welches an die Schlägereiszenen aus Asterix Comics erinnert. Aber auch das ist kein unlösbares Problem. Einfach ein paar Dosen Cola Light geschnappt, kurz geschüttelt, Pfefferminzkaubonbon rein und einer Granate ähnlich auf den Mob geworfen. Besudelt und verklebt springen die Menschen auseinander, nur ganz am Rand wird der Filialeiter mit einer Ahle Worscht versohlt.
Bevor zufällig einkaufende Ballistiker jetzt den Abwurfort und somit auch Schützen errechnen, sollte man mit Unschuldsmiene eine Milch in den Wagen laden und seiner Wege gehen. Die Fleischtheke ist besetzt wie einst Frankreich und Polen, allerdings ist es in Krisenzeiten wie diesen moralisch vertretbar „zufällig“ eine der Nachbarskatzen zu überfahren. Ist der Kopf erst mal ab schmeckt eh alles nach Kaninchen. Gemüsekonserven hortet man sowieso noch seid Fronleichnam und wenn man jetzt noch nen Kasten Bier bekommt ist die Einkaufsliste abgearbeitet. Am Rand der Getränkeabteilung haben die Azubis mit Kreide einen im Umfang 5m großen Kreis gezogen. Darin treten jeweils 2 Männer mit abgebrochenen Bierflaschen gegeneinander an. Die Regeln sind simpel. Wer den Kreis lebend verlässt darf sich einen Kasten Gerstensud aufladen. Noch etwas benommen wackelt der Herr aus der Backwarenabteilung in den Ring, ein Schlag mit einer Apfelweinflasche später beginnt einer der Zubis zu zählen. … 7…8….9…10 Sieger durch KO…. .
Die Warteschlange an der einzigen offenen Kasse stört auch nicht mehr. Brav fährt man seinen Wagen durch den Schmalen Durchbruch ins Freie gegenüber der Kasse, wo frei laufende Dobermänner darauf achten das man nicht ohne zu zahlen weg läuft.
Als die ersten Waren auf dem Kassenband liegen hört man einen schrillen Pfiff, das letzte was man nach dem umdrehen sieht ist jener alte Bekannte von Back und Bier sowie einen abgebrochenen Flaschenboden…
Driiiiing Driiiiing Driiiiiiing. Mein Wecker klingelt. Ich streiche mir durchs Gesicht. Kein Mull und keine Schläuche. Ich greife nach meinem Handy um den Alarm abzustellen und blicke dabei auf den Kalender. Es ist der vierte Oktober, Mensch sei Dank.