Gießen |
Umbenennung des Otto-Eger-Heimes wird wahrscheinlich
„Besser spät als nie“, könnte ein möglicher Kommentar zur neuen kritischen Haltung der JLU-Leitung, des Studentenwerks sowie der Gießener Oberbürgermeisterin Grabe-Bolz (SPD) zur Benennung des Mensa-/Heimgebäudes in Leihgesterner Weg nach Otto Eger, dem Begründer des Studentenwerks, mehrfacher Rektor der Universität sowie Begründer einer nationalistischen und ultrarechten paramilitärischen Kompagnie, lauten. Spät ist im Jahre 2014 allerdings viel zu spät, als dass der seit Jahrzehnten aufsummierte Schaden mit der plötzlichen Erkenntnis fortgewischt werden könnte, dass Eger nicht nur „einfacher“ Republikfeind, Rechtsradikaler und ab 1933 Mitläufer des deutschen Faschismus gewesen war, sondern aktiver Befürworter und Förderer des faschistischen Umbaus der Gießener Ludwigsuniversität und deren Umfelds.
Otto Eger: eben noch ehrenwert, nun gescholtener Faschist?
Wie kam es nun dazu, dass der ehemalige Namensgeber eines öffentlichen Gebäudes nun von seiner Funktion als Säulenheiliger des Studentenwerks von seinen steinernen Sitzmöbel vertrieben
und in den Orkus der personae non grata geschleudert wurde? Kritik und Umbenennungsbestrebungen regten sich nicht erst im 21. Jahrhundert, sondern bereits in den 1970 und 80er Jahren. Im Fahrtwasser der 68er-Kritik an neofaschistischen Tendenzen und alter Geschichtsvergessenheit wurden Quellen gesichtet und der rechtsradikale, antidemokratische Charakter der Person Eger klar benannt. Lokalhistoriker wie Bruno W. Reimann und Jörg-Peter Jatho trugen in den nachfolgenden Jahrzehnten umfangreiches belastendes Material zusammen und machten sich um die Präzision der Kritik an Eger verdient[1].
Erstaunlich ist dabei, dass der Status des erwiesenen Republikfeindes, Rechtsradikalen, Paramilitaristen und zumindest mitlaufender Unterstützer des Faschismus ab 1933 für die Unileitung, für das Studentenwerk sowie die Stadt Gießen (maßgeblich ist hier die SPD-Oberbürgermeisterin als entschuldende Instanz zu benennen), nicht als triftige wie dringende Gründe fungierten, um die öffentliche Ehrung zurückzunehmen. Eigentlich sollte davon auszugehen sein, dass mit Straßen und Gebäude geehrte Personen eine gewisse gesellschaftliche Vorbildfunktion erfüllen: die Gegnerschaft zur Demokratie, die Organisation von Putschgruppen sowie revanchistische Propaganda und Nähe zur faschistischen Ideologie sind somit nacheifernswert und ehrenhaft? Seltsam.
Geschichtsvergessenheit sowie das Hochhalten falscher Helden hat jedoch historische Wurzeln und Tradition im Nachkriegsdeutschland. Neue Fassaden, brauner Kern: so gestaltete sich in Teilen die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft. Nach außen zeigte man sich westlich-erneuert, schwor auf die parlamentarische Republik und dem "Gänsefüßchenstaat" DDR erbitterte Feindschaft. Gleichzeitig bediente sich die Kanzlerdemokratie Konrad Adenauers kräftig den Kreisen diverser Altnazis, wenn es um den Aufbau der Bundeswehr oder des Geheimdienstes ging.
Dokument X gefunden – nun ist alles anders?!
Erschreckend ist die in den verantwortliche Kreisen vorhandene krampfhafte Fixierung auf das lang gesuchte „Dokument X“, das heißt eine Quelle, die in schier blamabler Eindeutigkeit zeigt, dass Otto Eger nicht bloß opportunistischer Mitläufer, sondern aktiver Unterstützer und Mitbauender des faschistischen Staates ab 1933 gewesen war.
Es handelt sich um ein Schreiben des Gießener Konzertvereins an die Stadtverwaltung vom 11. Oktober 1933,, das Otto Eger als stellvertretender Vorsitzender des Vereins unterzeichnet hatte. Es ist darin von „artfremder und zersetzender Musik“ die Rede, die es „abzuwehren“ gelte. Gefordert wird eine „von einem einheitlichen Führerwillen geleitete, kulturbewusste und deutschbewusste Betreuung des Musiklebens“, um so zu verhindern, dass das „Musikleben in die Hände jüdischer Agenten“ übergehe[2]. Der Onlinejournalist Frank Sygusch hat das besagte Dokument und weitere Quellen zur Einsicht online gestellt[3]. Und sogleich überschlagen sich die Meldungen, in denen sich die bisher verteidigenden Instanzen von Eger distanzieren und ein Umdenken propagieren. Doch liest sich die Pressemitteilung der JLU und des Studentenwerks sehr abwartend, fast bedauernd, so als könnte man nicht ohne den Namen Egers leben und die bis dato an den Tag gelegte Verteidigung dieser mehr als umstrittenen Person als Fehler benennen.“(...) trotz Otto Egers allseits anerkannten besonderen sozialen Engagements für die Studierenden [sei] eine Vorbildfunktion seiner Person nicht mehr angezeigt“, die Benennung sei daher vor diesem Hintergrund zu überdenken, die neuen Dokumente ließen eine „positive Gesamtbewertung“ nicht mehr zu[4]. Die JLU-Leitung empfiehlt dem Studentenwerk nunmehr die Umbenennung [5]. Die Entscheidung wird wohl Anfang Dezember getroffen.
Die Umbenennung ist sicher?, oder: wem gebührt Ehre?
Auf ihrer Internetseite jubelt die Gießener Juso-Hochschulgruppe „Endlich! Das Otto-Eger-Heim wird umbenannt.“ [6] – diese Aussage erscheint uns zu diesem Zeitpunkt zu spekulativ, als dass wir sie unterschreiben könnten. Noch ist die Umbenennung nicht in trockenen Tüchern, auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür gestiegen ist. Vermissen wird der aufmerksame Beobachter der plötzlichen Wende in Sachen Otto Eger eine ehrende Würdigung der zahlreichen kritischen Kräfte, die zum Teil seit Jahrzehnten einen Umbenennung des Heimes im Leihgesterner Weg fordern, Quellen zusammentrugen und immer wieder gegen die Windmühlen eines bisweilen ignoranten und sturen Blocks von Eger-Verklärern und –verschleiernden anrennen mussten.
An den neuste Bemühungen zur Umbenennung des Otto-Eger-Heimes arbeiteten unter anderem studentische Vertretungen wie die Fachschaft 03, Mitglieder der Juso-HSG sowie des SDS Gießen mit. Wir wollen im Angesicht der veränderten Sachlage dafür sorgen,
- dass die wahrscheinlicher gewordene Umbenennung des Otto-Eger-Heimes wirklich umgesetzt wird und sich nicht erneut die scheinbar geläuterten Instanzen von ihrer Distanzierung distanzieren;
- dass eine neue namensgebende Person gefunden wird, die sich in ihrer gesellschaftliche Positionierung radikal von der Otto Egers unterscheidet und somit die demokratischen, antifaschistischen und freiheitlichen Traditionslinien Gießens und damit verbunden der Universität Gießen würdig zu verkörpern weiß; der SDS Gießen plädiert für eine Würdigung der Gießener Literaturwissenschaftlerin und Antifaschistin Mildred Harnack-Fisch [7]. Die Namensfindung muss transparent, demokratisch und unter Mitwirkung aller betroffenen Gruppen, im Besonderen der Studierenden, erfolgen;
- dass sich die Gießener Universität, das Gießener Studentenwerk sowie die Stadt Gießen nicht von ihrer historischen Verantwortung sowie ihren Verfehlungen in der Form distanziert, dass sie den Namen still und heimlich entfernen lässt; die Umbenennung muss unter größtmöglicher Anteilnahme und Mitarbeit der Gießener Öffentlichkeit erfolgen, mit Informationsveranstaltungen wissenschaftlich begleitet werden. Es darf kein Reinwaschen ermöglicht werden: wir fordern, dass in einer zu erstellenden Gedenktafel die erschreckende Praxis der Würdigung einer Person wie Otto Egers bis ins Jahr 2014 kritisiert wird.
Der SDS Gießen wird für euch weiter in dieser Sache aktiv bleiben. So fordern wir unter anderem auch seit geraumer Zeit die Umbenennung des Wilhelm-Hanle-Hörsaal am Naturwissenschaftlichen Campus [8].
(iljitsch)
----------------------
[1] Vgl. bspw. Bruno W. Reimann: Das Otto-Eger-Schwarzbuch, URL:
http://www.bruno-w-reimann.de/otto-eger-schwarzbuch-2-aufl/ [aufgerufen am 31. Aug. 2014]; Jörg-Peter Jatho, Gerd Simon: Gießener Historiker im Dritten Reich. Gießen 2008.
[2]
http://www.kreis-anzeiger.de/lokales/hochschule/durchgaengig-im-ns-jargon-abgefasst_14515488.htm
[3] Das Schreiben von 11. Okt. 1933 ist unter
http://www.giessen-server.de/beitrag9102.html einsehbar. Eine weitergefasste Auseinandersetzung mit der Person Egers liefert Sygusch unter
http://www.giessen-server.de/beitrag9110.html.
[4] Zitiert nach red: „Durchgängig im NS-Jargon abgefasst“,Kreis-Anzeiger, 30. Aug. 2014, URL:
http://www.kreis-anzeiger.de/lokales/hochschule/durchgaengig-im-ns-jargon-abgefasst_14515488.htm [aufgerufen am 31. Aug. 2014].
[5] Vgl. Pressestelle der JLU Gießen: Otto Eger. Neue Gesamtbewertung, URL:
http://www.uni-giessen.de/cms/ueber-uns/pressestelle/pm/pm157-14 [aufgerufen am 31. Aug. 2014].
[6] URL:
http://www.jusos-uni-giessen.de/?p=343 [aufgerufen am 31. Aug. 2014].
[7] Zu Harnack-Fisch u.a. Shareen Blair Brysac: Mildred Harnack und die „Rote Kapelle“. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Frau und einer Widerstandsbewegung, Bern 2003.
[8] Vgl. zu Wilhelm Hanle bspw.: Bruno W. Reimann:
http://www.bruno-w-reimann.de/professor-wilhelm-hanle-physiker/ [aufgerufen am 31. Aug. 2014].