Gießen | „Wenn man nicht genau sagen kann, warum man Daten speichern will, sollte man es besser lassen." Mit diesen Worten kommentieren die Juso-Sprecher Georg Zimmermann und Jennifer Becke die jüngsten Diskussionen im Stadtparlament zur geplanten Datenspeicherung bei Internetzugängen in der Gießener Stadtbibliothek. „Es ist zwar begrüßenswert, dass die Mehrheit aus CDU, Grünen und FDP offenbar Abstand nimmt vom ungeheuren Überwachungsplan der Protokollierung aller aufgerufenen Seiten. Zur entscheidenden Frage, warum überhaupt etwas gespeichert werden soll, gibt es aber bisher keine klare Aussage", kritisieren die Jusos.
Mal begründe Dezernent Harald Scherer (FDP) die geplante Datenspeicherung mit dem Ziel, bestimmte Seitenaufrufe zu unterbinden, dann solle plötzlich die Datenspeicherung dem Schutz der Stadtverwaltung dienen. Auch im Satzungsentwurf fehle eine Angabe des Zwecks der Datenerhebung. Nach Ansicht der Jusos gibt es keine rechtlichen Verpflichtungen der Stadt und damit keinen Anlass zu einer solchen Datenspeicherung: „Wir lehnen es ab, Daten zu speichern, nur um einfach mal auf 'Nummer sicher' zu gehen. Dies widerspricht dem Grundsatz der Datenvermeidung und Datensparsamkeit", so die SPD-Nachwuchsorganisation.
„Eine Datenspeicherung auf Vorrat verhindert nicht das Anwählen bestimmter unerwünschter Internetseiten. Damit kann man allenfalls hinterher einen Seitenaufruf nachweisen, sofern man einen Verdacht hat. Hat man diesen nicht, helfen die gespeicherten Daten auch nichts", so Juso-Sprecher Zimmermann. Das Ziel, bestimmte Seitenaufrufe unterbinden zu wollen, sei also keine taugliche Begründung für die geplante Vorratsdatenspeicherung.
„Auch Herrn Scherers Szenario des Versands einer Erpresser-Email halten wir nicht für angebracht. Die Datenspeicherung kann den Versand der Email nicht verhindern, sondern nur hinterher der Strafverfolgung dienen", so die Jusos weiter. Doch sei hier der Nutzen für die Strafverfolgung mit der Freiheit der Kommunikation abzuwägen. „Wir halten eine verdachtslose Datenspeicherung auf Vorrat mit dieser Begründung für unverhältnismäßig . Mit dem gleichen Argument könnte man sonst auch eine Ausweispflicht und Protokollierung bei öffentlichen Telefonzellen verlangen. So eine Überwachungspolitik lehnen wir ab", erklären die Jusos.
Entscheidend sei, was eigentlich passiere, wenn auf jegliche Protokollierung verzichtet werde, so die Jusos weiter. „Die Befürchtung, dass die Stadt Gießen für Rechtsverletzungen von Internetnutzern in der Stadtbibliothek haftbar gemacht werden könne, teilen wir nicht. Grundsätzlich sieht das Telemediengesetz eine Haftungsfreistellung von Zugangsanbietern vor. Nur bei Unterlassungsansprüchen könnte eine Haftung der Stadt als mittelbarer Störer in Betracht kommen. Dafür müsste aber eine Verletzung sogenannter Sorgfaltspflichten vorliegen. Ob es solche Pflichten für Bibliotheken, Internetcafés und andere Anbieter eines öffentlichen Internetzugangs aber überhaupt gibt und wie diese aussehen, ist bislang ungeklärt. Dazu gibt es noch keine Gerichtsentscheidungen", erläutern die Jusos mit Verweis auf eine Stellungnahme der Rechtskommission des Deutschen Bibliotheken-Verbandes. „Solange es also völlig offen ist, ob die Stadt haftbar gemacht werden kann, sehen wir keinen Grund für vorschnelle Entscheidungen. Daten sollte man nicht speichern, um einfach mal auf 'Nummer sicher' gehen zu wollen", so die Jungsozialisten.
Auf Kritik stößt bei den Jusos auch die Haltung der Gießener Piratenpartei, die eine Speicherung von Benutzername, Datum, Uhrzeit und IP-Adresse vorgeschlagen hatte: „Der Vorschlag der Piraten ist zwar nicht so weitgehend wie der des FDP-Dezernenten. Aber auch sie wollen eine Datenspeicherung, ohne zu hinterfragen, ob dafür eine Notwendigkeit besteht. Das ist ein bemerkenswert schneller Ausverkauf der eigenen Ideale".
„Wir haben den Eindruck, dass in der Stadtverwaltung und den Reihen der Stadtverordneten eine große Unsicherheit über die Verantwortlichkeit für Rechtsverletzungen von Internetnutzern in der Stadtbibliothek herrscht, die aus Unkenntnis der rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen resultiert. Eine solche Unsicherheit ist ein schlechter und falscher Ausgangspunkt für eine Datenspeicherung. Solange eine Haftung der Stadt nicht ersichtlich ist, gilt für uns daher: Im Zweifel für die Freiheit", schließen die Juso-Sprecher Georg Zimmermann und Jennifer Becke und fordern den Dezernenten Harald Scherer (FDP) auf, die Vorlage zurückzuziehen.