Gießen | Nicht nur die Immelmann-Stele – inzwischen ohne herabstürzende Stukas, aber immer noch mit dem Spruch:“Opfermut überwindet den Tod“ (Gießener Echo 11/2017, 6/2018, 10/2020) - suchte auf der Burg Staufenberg bei Gießen ihren erhöhten Standplatz. Auch auf etlichen Höhen und Gipfeln der deutschen Alpen findet man Denkmäler, Kreuze und Erinnerungstafeln im Zusammenhang mit den Kriegen des 20.Jahrhunderts, an deren Zustandekommen in erster Linie Deutschland Anteil hatte. Nach dem Motto: „Es kann doch nicht schlecht gewesen sein, wofür unsere Väter und Söhne gestorben sind“ wurden die Massenmorde auch noch im Nachhinein glorifiziert und Täter wie auch Mißbrauchte zu Helden erhoben. Zu den nachstehenden Beispielen findet man jede Menge weiterführende Ausführungen durch „Googeln“ und in wikipedia ausführliche Biografien der erwähnten Personen.
Beginnen wir auf dem Mariaberg in Kempten im Allgäu. Dort wurde unweit des höchsten Punktes der Stadt (915 m) die freistehende Mulzerföhre bald nach dem Ersten Weltkrieg gepflanzt (steht heute unter Naturschutz), um den Fliegerhelden des Ersten Weltkriegs Max Ritter von Mulzer
zu ehren. Bürgerlich als Max Mulzer in Kimratshofen bei Kempten geboren, wurde er nach 9 Abschüssen feindlicher Flugzeuge von Kaiser Wilhelm I. mit dem Orden „Pour le Mérite“ und vom letzten bayrischen König, Ludwig III. (auch „Millibauer“ genannt) mit dem Max-Joseph-Orden ausgezeichnet. Letztere Auszeichnung war immer mit einer Erhebung in den Adelsstand verbunden. Seitdem hieß er Max Ritter von Mulzer. 1916 verunglückte er – nicht in Kampfhandlungen – mit einem Flugzeug in Frankreich. Auf dem Memminger Waldfriedhof wurde er in einem Ehrengrab bestattet.
An der Mulzerföhre wurde (noch!) 1986 vom Heimatverein Kempten eine Holztafel angebracht mit einem Vers der Allgäuer "Heimatdichterin" Else Eberhard-Schobacher:
So bleibt er unser nun für alle Zeit:
Die Frauen werden ihn im Herzen tragen,
Die Männer von ihm singen und einst sagen,
Und über Gram und Traum von dumpfen Tagen
Thront ruhevoll der Trost:
Unsterblichkeit.
Die Dichterin steht inzwischen im Rahmen einer kritischen Aufarbeitung der NS-Zeit in Kempten unter Beschuß: Sie „verbreitete auch Inhalte mit nationalsozialistischer Ideologie“ (wikipedia). Der nach ihr benannte Weg in Kempten zählt zu den „Umbenennungskandidaten“, die demnächst von einer neu zu gründenden "Geschichtskommission“ zusammengestellt werden sollen. Der Heimatverein Kempten bemüht sich heute indes um eine, vom Namen her eigentlich gar nicht zu erwartende, saubere Aufarbeitung der NS-Zeit in Kempten und im Allgäu.
Wenden wir uns weiter dem Berg Großer Daumen (2.280 m) im Nebelhornbereich zu. Dort steht einige Meter unterhalb des Gipfelkreuzes ein filigranes Metallkreuz, auf dessen Tafel nur der Name Georg Ritter von Hengl und die Lebensdaten stehen. Das Kreuz steht in der Nachfolge eines 1959 errichteten niedrigeren Steinkreuzes. Dieses befand sich zuletzt im Gebirgsjägermuseum in Sonthofen, das im März 2020 für immer aufgelöst wurde. Hengl verdankt seinen Adelstitel exakt denselben Umständen wie Mulzer: Er brachte es auf 8 Luftsiege. Nach dem ersten Weltkrieg kämpfte er im Freikorps Epp gegen die Münchner Räterepublik, kam in den Polizeidienst und wurde Polizeihauptmann. Als SS-Sturmbannführer kam er 1934 über die SS-Verfügungstruppe zur Wehrmacht und stieg zum Generalleutnant in der Gebirgstruppe auf. Mit Eduard Dietl und Ferdinand Schörner bildete er eine „eingefleischte nationalsozialistische Führungstroika“ (wikipedia). Beim Einmarsch in die Sowjetunion gab er den Befehl, sämtliche Gefangenen zu erschiessen.
In einer Rede auf der Sonthofener Ordensburg forderte er die Offiziere dazu auf, „die Soldaten zu unbändigem Vernichtungswillen und zum Hass zu erziehen“. Nach dem Krieg schwadronierte er von „zeitlosen soldatischen Tugenden“. Er starb 1952 während einer Skitour auf eben den Großen Daumen an einem Herzinfarkt. Bei seiner Beerdigung hielt der ehemalige General der Gebirgstruppe, Rudolf Konrad, eine Jubelrede auf ihn und die Gebirgstruppe (die Konrad-Kaserne in Bad Reichenhall wurde 2012 in Hochstaufenkaserne umbenannt). Den Großen Daumen habe ich das eine und andere Mal bestiegen, das Hengl-Kreuz aber offensichtlich stets übersehen, außer Atem und verschwitzt dicht vor dem Gipfelkreuz. Daher kann ich kein Foto bieten. Die „Allgäuer Zeitung“ veröffentlichte mal ein Leserfoto davon und das alte Steinkreuz ist in der Hengl-Biografie von Kaltenegger abgebildet.
Hengl war nach dem Krieg der Initiator des alljährlichen Grüntentages am Jägerdenkmal auf dem Gipfel des Grünten (1.738 m). Der Bau ist einer tibetischen Tschorte, einem Sakralbau, nachempfunden, wurde 1924 eingeweiht und sollte an die etwa 3000 Gefallenen der ersten Gebirgsjägereinheiten im Ersten Weltkrieg erinnern. Im Unterbau befindet sich eine Krypta mit Namenstafeln von
Gefallenen. 1975 wurden am neu gestalteten Treppenaufgang Originalsteine aus den von der faschistischen Gebirgstruppe überfallenen Gebieten im Zweiten Weltkrieg eingelassen: Kaukasus, Pyrenäen, Jugoslawien, Norwegen, Italien, Frankreich, Russland, Griechenland - überall, um „Heldentaten“ zu vollbringen (aber ohne Einladung oder Visum!). Im Jahre 2001 wurde folgerichtig eine Tafel zum Gedenken an die bei Auslandseinsätzen getöteten Gebirgsjäger der Bundeswehr angebracht. (siehe hierzu auch die Bilder im Beitrag:
http://www.giessener-zeitung.de/giessen/beitrag/134320/der-gruenten-waechter-des-allgaeus/
Das Grüntendenkmal ist ja nun doch nur durch eine ordentliche Bergtour und zum Schluß auf schmalem Pfad zu erreichen. Auch ist das Gelände um das Denkmal eng und schlecht für größere Menschenmengen geeignet. Insofern verlieren die Feierlichkeiten am Grüntentag von Jahr zu Jahr an Bedeutung, da die klassischen Teilnehmer naturgemäß weniger werden. Besser zu erreichen ist da schon das Ehrenmal der Gebirgstruppe auf dem Hohen Brendten (1.193 m) bei Mittenwald. Dort kann man fast ganz mit dem Pkw hochfahren. Es
wurde 1956 eingeweiht, kurz nach Gründung der Bundeswehr, quasi zu deren „moralischer Festigung“. Alljährlich findet dort um Pfingsten herum die sog. „Brendtenfeier“ des „Kameradenkreises der Gebirgstruppe“ statt. Um diese Feier herum fanden 2002 bis 2009 Protestaktionen und Aufklärungveranstaltungen des „Arbeitskreises angreifbare Traditionspflege“, der „Initiative gegen falsche Glorie“ mit Jakob Knab und der VVN-BdA statt, die dem Kameradenkreis u.a. Kriegsverherrlichung und die Leugnung von Kriegsverbrechen vorwarfen. Das führte bis zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Indirekt damit zusammenhängend führten die Aktionen z.B. zur Verurteilung des ehem. Leutnants der Gebirgstruppe Joseph Scheungraber, einem regelmäßigen Aktivisten der Brendtenfeier. Er wurde erst im Jahre 2009 von einem Münchner Schwurgericht zu lebenslänglicher Haft verurteilt (2006 bereits in Abwesenheit von einem Militärgericht in La Spezia). Scheungraber gab den Befehl, im italienischen Falzano di Cortona, nach dem Mord von ein paar einzelnen Zivilist*innen und Kindern, 11 Dorfbewohner in ein Bauernhaus zu sperren, um es dann zu sprengen und mit Maschinengewehren in die Trümmer zu schiessen. Ein damals 15-jähriger überlebte. Er war einige Male bei den Áktionen gegen die Brendtenfeier in Mittenwald anwesend. In Erinnerung an das Massaker wurde dann 2010, stellvertretend für alle Opfer der Gebirgstruppe, in Mittenwald im Ort ein Mahnmal errichtet.
Und zum Abschluss sei noch an ein Täfelchen am Gipfelkreuz vom Hinteren Hörnle in den Ammergauer Bergen, angebracht vom Gebirgstrachtenerhaltungsverein Bad Kohlgrub, hingewiesen. Ursprünglich aus 1934, wird es offensichtlich laufend instandgehalten:
„Von dieser stillen Bergeshöh‘ grüßen wir unsere Helden, mög‘ ihr Geist und Opfermut im Volk niemals verwelken“.
(siehe:
http://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/Links/Ammergau-Hoernle2021.pdf )
(Fotos zum Vergrößern anklicken. Sämtlich eigene Fotos, z.T. ältere gescannte Dias. Das Foto zum Grüntendenkmal im Winter ist eine Postkarteneigenproduktion eines Onkels aus 1934. Er schickte sie an einen Alphüttenzuständigen Landwirt in Kranzegg und entschuldigte sich im Text dafür, daß er sich nicht mehr um die im Winter von ihm gemietete Hütte kümmern könne, da er wegen des Röhmputsches kurzfristig eingezogen worden sei.)