Gießen | Vor kurzem sah ich am Rübsamensteg ein paar Jugendlichen zu, wie sie von der Brücke in die Lahn sprangen. Einer stand lange auf einem der Ausleger, an dem das Hängeseil befestigt ist und traute sich nicht zu springen. Seine Freundin hatte es ihm vorgemacht und feuerte ihn von unten aus dem Wasser an, aber er setzte an, richtete sich wieder auf, wiegte sich vor und zurück, als ob er Anlauf nehmen wollte, aber im entscheidenden Moment verließ ihn jedesmal der Mut. Das ging so eine ganze Weile, bis die Angst vor der Blamage vor den Zuschauern und seiner Freundin größer war, als die vor dem Sprung und er es schließlich wagte.
Daran musste ich denken, als ich die Jungreiher auf der Mittelinsel im Schwanenteich beobachtete. Eigentlich hoffte ich, endlich einmal die Fütterung fotografieren zu können, wurde dann aber Zeuge des vermutlich ersten Verlassen des Nestes.
Auf der nächst benachbarten Kastanie am Ufer probte gut sichtbar ein Jungreiher seine Flugmuskeln. Vielleicht wirkte das animierend auf einen der Jungreiher auf der Mittelinsel. Er hüpfte erst von einem Nestrand zum anderen und zurück. Dann blieb er dort
stehen und fixierte einige Zeit den unterhalb des Nestes abstehenden Ast, schlug immer mal wieder mit den Flügeln. Plötzliches Flügelflattern, ein Hüpfer und er saß darauf. Da verblieb er eine ganze Weile. Sein Geschwisterkind hatte sich inzwischen im Nest auch erhoben und schaute gelassen zu, machte aber keine Anstalten, es ihm nachzutun.
Immer wieder wurden die Flügel ausprobiert, manchmal erzwang es auch der recht kräftige Wind, damit die Balance nicht verloren ging, aber sonst passierte eine halbe Stunde lang nichts weiter. Dann erwuchs wohl langsam das Bedürfnis, ins Nest zurück zu kehren, nur, da gab es ein Problem. Das Nest war höher als der Ast und einfach rein steigen, das war nicht möglich. Fliegen traute er sich aber auch noch nicht und jetzt begann das Verhalten dem des Springers am Rübsamensteg zu gleichen. Er näherte sich dem Nest, aber das verschärfte noch das Problem, lag doch der Austritt des Astes aus dem Stamm noch tiefer, also wieder zurück. Erneute Ratlosigkeit, dann vorsichtiges Wechseln auf einen erreichbaren Ast auf anderen Seite. Inzwischen hatte auch der zweite Reiher im Nest bemerkt, da stimmt was nicht und verfolgte intensiver das Geschehen, das auch auf diesem Ast eher noch schwieriger geworden war.
Deshalb wieder zurück auf den ersten. Nach noch einigem Vor und Zurück, mit dem Mut der Verzweiflung und nach einer guten dreiviertel Stunde und mit unterstützendem Flügelschlagen, ein Satz und man war wieder im Nest. Man kann das unmittelbare Verhalten der beiden danach nur so interpretieren, beiden fiel ein Stein vom Herzen, dass das Abenteuer gut ausgegangen war. Es wurde kräftig geschnäbelt, ehe dann wieder Ruhe einkehrte.
Inzwischen, nachdem erst mal der Bann gebrochen ist, verbringt er beim Warten auf die fütternden Eltern viel Zeit außerhalb des Nestes. Zu echten Flugversuchen scheint es aber noch zu früh zu sein, lange wird das aber auch nicht mehr auf sich warten lassen. Sein Geschwisterjunges war aber auch zwei Tage danach selbst für diese kleinen Versuche noch zu zaghaft und bleibt lieber noch im Nest.
Ich hatte versuchsweise das Geflatter des Jungreihers in der Kastanie per Video aufgenommen. Als das Junge auf der Mittelinsel dann aus dem Nest hüpfte, auch dieses Folgegeschehen. Da an dem Abend aber nur Fotos geplant waren, hatte ich kein Stativ dabei und die Videoaufnahmen sind freihand gemacht, deshalb wackelt es manchmal ziemlich, aber trotzdem dürften sie aussagefähiger als Fotos für ein derartiges Ereignis sein.
Ein paar Videos habe ich bei youtube eingestellt, hier die Links
Training der Flugmuskeln des Jungreihers in der Nachbarkastanie
Video 1
http://youtu.be/dBJ-YUeRRLg
Video 2
http://youtu.be/YMS5obODNdE
Versuche ins Nest zurückzukehren
Versuch von links Video 1
http://www.youtube.com/watch?v=B8GoH4u-cog
Versuch von rechts Video 2
http://www.youtube.com/watch?v=Ib1Sjp_bQrI
Happy End Video 3
http://www.youtube.com/watch?v=DjDkxotarPA
Nachtrag:
Jetzt, drei Tage nachdem das erste Junge die ersten Schritte aus dem Nest wagte, hat auch das zweite den Mut dazu besessen und ist bis in die Spitze des Baums gestiegen. Das erste hat, als ich darauf wartete, dass ein Elternvogel zur Fütterung zurück käme, plötzlich den ersten Flug gewagt, über den Schwanenteich zu den Bäumen des Dammwegs. Die Landung war sehr ungeschickt und es stürzte schließlich sogar ins Wasser. Danach hielt es sich in der Uferböschung des Dammwegs versteckt. Inzwischen kam auch ein Elternvogel und fütterte das im Nest verbliebene Junge. Ich habe noch ein paar weitere Videos dazu, aber da das Hochladen auf YouTube erhebliche Zeit dauert, werde ich die später einmal nachreichen.