Gießen | Neulich wunderte sich ein BR, mit was für einem Rad ich am Schwanenteich unterwegs war. Es war ein 20 Zoll Faltrad, das man neu schon für 99 € bekommen kann und ich dachte mir, ich sollte mal berichten, was mit so einem Rad möglich ist.
Schon am 21.06., dem längsten Tag, wollte ich deshalb von Sonnenauf- bis -untergang eine Tour machen; leider war das Wetter schlecht und so kam es erst am 01.07. dazu. Vorgenommen hatte ich mir, alle vier Fro(h)nhausen anzufahren (bei Dillenburg, Battenberg, Gladenbach und Lollar), laut Google-Routenplaner 153 km. Am Vorabend wurde der Wecker auf 4:00 Uhr gestellt, um 5:15 Uhr wollte ich los fahren. Um 05:05 wurde ich wach. Ich hatte beim letzten Batteriewechsel anscheinend vergessen, die Zeit auf 24-Stunden-Anzeige umzustellen und so die Weckzeit auf 04:00 nachmittags eingestellt.
Bis ich dann gefrühstückt und Verpflegung und Getränke eingepackt hatte und endlich losfahren konnte, war es bereits 6:50 Uhr. Die ganze Strecke sollte über Radwege verlaufen und so ging es auf dem R7 von Gießen bis Wetzlar. Von dort auf dem Dilltalradweg bis Dillenburg, weiter auf dem R8 bis Wallau
und auf dem Lahntalradweg über Biedenkopf und Marburg wieder nach Gießen. Die Beschilderung ist im Allgemeinen gut, aber es gibt immer wieder ein paar hakelige Ecken, wo man sich fragt, wie es weiter geht oder man übersieht schnell mal einen der kleinen Richtungspfeile. Auf die Weise kam ich in Herborn und Dillenburg auch zu zwei Bergauffahrten, die mich ordentlich Kraft kosteten. Es war dann auch schon 14:00 Uhr, als ich nach einer erneuten Bergauffahrt am schön gelegenen Freibad von Simmersbach meine dritte Rast einlegte. Leider war das Bad geschlossen, nur eine abgestandene Brühe stand darin. Vermutlich kein Geld der Großgemeinde Eschenburg, zu der Simmersbach gehört.
Erst mal leerte ich zwei Fläschchen Apfelsaft, dann warf ich einen Blick auf die Karte. Bis jetzt hatte ich 72 km zurück gelegt. Das erste der Frohnhausen, die ich ansteuern wollte, hatte ich nur ein paar Kilometer zuvor durchfahren. Was für ein scheusslicher Ort. Ein Straßendorf, die Häuser in Reih und Glied auch in die Nebenstraßen hinein, kein bisschen von der gewohnten krummwinkligen Gemütlichkeit hessischer Dörfer. Der Grund, wie ich später heraus fand, war ein Brand im Jahr 1778, als 250 Gebäude, bis auf ein paar Häuser der ganze Ort, innerhalb weniger Stunden in Flammen aufgingen. Man fand nie ganz heraus, ob ein Blitzschlag oder Brandstiftung der Grund waren. Danach wurde der Ort weniger eng und nach Gesichtspunkten, die ein Löschen im Fall eines Brandes erleichtern, neu aufgebaut.
Wenn ich aber auch die anderen drei Frohnhausen ansteuern wollte, würden es wohl deutlich über 200 km werden und das wurde mir jetzt doch zuviel. Es stand zur Wahl, die Sache so schnell wie möglich zu beenden und über Hirzenhain und Gladenbach nach Gießen zurück zu fahren. Oder über Breidenbach durch das Perftal nach Wallau ab zu fahren und den Lahntalradweg nach Gießen zu nehmen. Variante 1 wäre zwar mindestens 50 km kürzer gewesen, aber ziemlich bergig, Variante 2 zwar länger, aber dafür weniger anstrengend.
Ich entschied mich für Variante 2 und habe es nicht bedauert. Nach zwei- dreihundert Metern weiteren Anstiegs ging es bis ins Perftal nur bergab. Bis Breidenbach hatte ich mich so erholt, dass ich mich entschloss, den vor zwei Jahren zur 1100 Jahr Feier errichteten Aussichtsturm aufzusuchen , den ich schon lange auf meiner to-see-Liste hatte. Aber auch da haben die Götter vor den Erfolg den Schweiss gesetzt. Es geht so steil bergauf, dass ich den letzten Kilometer schieben musste. Wer
mit dem Auto anreist, kann bis zum Judenfriedhof fahren, dann geht es aber auch für diejenigen den letzten Kilometer nur zu Fuß weiter. Hat man es geschafft, hat man aus rund 500 m Höhe einen herrlichen Blick in den Schelder Wald, ins Gladenbacher Bergland und ins Rothaargebirge. Eine ausgezeichnete und von Vandalen bis jetzt verschonte Infotafel auf der oberen Plattform lässt die wichtigsten Berge und Ortschaften, die man sieht, identifizieren. Ein Turmbesucherbuch gab es auch, aber das wurde geklaut. Zwei Breidenbacher Schüler haben freundlicherweise ein Schulheft als Ersatz gestiftet. Bei der Durchfahrt durch den Ort fällt einem die Kirche mit ihrem gedrehten Turm auf, außerdem auf dem Weg zum Turm ein Skulpturenpark.
Ich fuhr auf stillgelegter Bahnstrecke weiter, am Perfstausee vorbei, nach Wallau. Leider kann man sich im Stausee zur Zeit nicht abkühlen. Bis auf ein paar Leuten in einem Schlauchboot war niemand darauf zu sehen. Schwimmen war untersagt, wegen zu vieler Keime im Wasser.
Von Wallau ging es den Lahnradweg ohne Umwege bis Gießen. Da schon oft gefahren, gab es nur noch eine Fotopause an der Carlshütte, der letzten im oberen Lahntal gebauten Eisenhütte, in der noch bis in die 50er Jahre gusseiserne Öfen produziert wurden, nachdem der Hüttenbetrieb schon Jahrzehnte vorher eingestellt worden war.
Bis Marburg kam ich noch bei Licht, aber als ich beim zweiten Fronhausen des Tages ankam, dem bei Lollar, leuchtete mir nur noch der Vollmond heim. Immerhin so hell, dass ich die letzten 20 km ohne Fahrradbeleuchtung auskam. In Lollar stieß ich dann um 23:30 auf ein Monster und machte, dass ich es gerade noch vor Mitternacht nach Hause schaffte.
Um meinen Kalorienverbrauch zu messen, bin ich unterwegs nicht eingekehrt, sondern hatte alle Getränke und feste Nahrung mit genommen. Von den zehn Scheiben Käse- und Wurstbrot, sowie drei 40g-Tüten Studentenfutter habe ich nur eine Tüte und 4 Scheiben Brot verbraucht, aber alle vier Liter Fruchtsaft und 0,7l Wasser. Dazu kamen vier Scheiben Sandwichtoast mit Butter und Honig plus ein halber Liter Bohnenkaffee zum Frühstück. Damit stand einer Aufnahme von ca. 3100 kcal ein Verbrauch von rund 8000 kcal gegenüber. 100g Fett haben etwa 660 kcal, ich hätte rund 740 g verbrannt haben müssen. Ich wog nach den 173 km 2,5 kg weniger, was aber zum großen Teil auf den Flüssigkeitsverlust zurück zu führen sein dürfte. Jetzt, vier Tage später, bin ich immer noch 500g leichter, was recht gut den verbrauchten Kalorien entspricht.
Das Rad ist durchaus auch radwandertauglich, letztes Jahr war ich damit in vier Tagen die 435 km bis zu Belgiens höchstem Wasserfall gefahren (und hatte dabei 5 kg abgenommen – bis Weihnachten ...)