Buseck | Den Beginn der Klima-Aktionstage am Freitag, den 19.6.2020 gestaltete die Fridays-for-Future-Gruppe Gießen mit einer Kundgebung vor dem Rathaus und einer anschließenden Fahrrad-Demonstration durch die Ludwigstraße, Frankfurter Straße und den Anlagenring.
Wieder einmal stellten die Aktiven fest, dass in Gießen immer noch keine grundlegenden Maßnahmen umgesetzt wurden, um die Stadt wie im September 2019 beschlossen bis zum Jahr 2035 - also in nur 15 Jahren - klimaneutral zu machen. Man fühle sich ignoriert, das Engagement vieler EinwohnerInnen von Gießen werde nicht gewürdigt. Damit sei es also weiterhin notwendig, für wirksamen Klimaschutz auf die Straße zu gehen bzw. zu fahren, damit sich die Stadt endlich konkret mit den vielen ausführlich ausgearbeiteten Vorschlägen wie Radspuren auf dem inneren Anlagenring oder der Regiotram beschäftigte und der Klimaschutz nicht wegen der Coronakrise vernachlässigt werde.
Da wirksamer Klimaschutz untrennbar mit sozialer und globaler Gerechtigkeit verbunden ist, wurde die Solidarität mit Initiativen gegen Rassismus und Faschismus betont.
Am Samstag, den 20. Juni 2020 trafen sich Radelnde aus allen Himmelsrichtungen im abgesperrten Bereich zwischen Berliner Platz, Ludwigsplatz und Licher Gabel zu einem Straßenfest im Zeichen von Klimaschutz und Verkehrswende.
Eine Sternfahrt startete mit ca. 50 Teilnehmenden in Großen-Buseck, wo zunächst der seit langem geforderte Kreisverkehr in der Kurve Schützenweg/Tankstelle simuliert wurde, bevor es weiter nach Rödgen ging. In Rödgen gab es eine kurze Kundgebung am Ort eines möglichen Bahnhaltepunkts und Ausweichgleises der Vogelsbergbahn. Auch die Radwegeführung ins Gelände des ehemaligen US-Depots wurde angesprochen. Reißenden Absatz fanden die ausgegebenen symbolischen Fahrkarten für den ab 2025 (bestimmt!) fahrenden Wasserstoffzug. Über die Rödgener und Grünberger Straße ging es dann zum Straßenfest am Ludwigsplatz. Für dieses war bis auf eine Fahrspur stadteinwärts der gesamte Bereich zwischen Berliner Platz und Licher Gabel für Kraftfahrzeuge gesperrt worden.
An den verschiedenen Infoständen gab es Material zur Regiotram, verschiedenen Klimaschutz- und Verkehrswende-Initiativen. Auch für Spiel und Spaß sowie musikalische Untermalung durch lokale MusikerInnen war gesorgt.
Alle im Stadtparlament vertretenen Parteien waren zu einem Polittalk
eingeladen worden und hatten vorab Fragestellungen zu den Themen wie Straßenverkehr, regionale Warenströme, Flächenversiegelung und Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden bekommen. Die Gelegenheit, ihre Positionen vorzustellen, nutzten allerdings nur die Vertreter der SPD, der Grünen und der Linken.
In einer anschließenden Schlussrunde mit Vertretern der Initiative 2035Null nahmen SPD und Grüne auch Stellung zur Verschiebung der Vorstellung der Ergebnisse der internen Arbeitsgruppen von Ende April auf September 2020. Die Vertreter der Regierungskoalition begründeten die monatelange Verschiebung damit, dass coronabedingt die eingeplante Bürgerbeteiligung nicht stattfinden konnte. Dies konnten die Zuhörenden nicht recht nachvollziehen, denn es könnte wohl derzeit keine andere Berufsgruppe ihre Arbeitsaufträge einfach mal 5 Monate hinausschieben. Hier hätte man sich von der Stadt eine kreative Herangehensweise gewünscht. Bürgerbeteiligung ist schließlich nicht nur persönlich, sondern auch digital möglich. Zumindest die Veröffentlichung der von der Stadt erarbeiteten Optionen für Klimaschutzmaßnahmen und eine prominente Darstellung auf der städtischen Homepage hatten die engagierten Aktiven erwartet. Denn es entstand bisher nicht unbedingt der Eindruck, als arbeite die Stadt an der Umsetzung des Beschlusses.
Die Ausweisung einzelner Fahrradstraßen nach jahrzehntelanger Ankündigung sei da nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Am Ort der Diskussion gebe es 5 Fahrspuren für Autos, dazu Parkplätze auf beiden Seiten, während man auf dem Bürgersteig nicht nebeneinander laufen könne. Eine Radspur fehle ebenfalls. Hier müssten die Flächen für den Autoverkehr zugunsten von Fußwegen, Radwegen, ÖPNV-Spuren und Entsiegelungen reduziert werden.
Defizite zeigten sich z. B. auch an der Anzahl der Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden. Hier sei die Stadt Marburg viel weiter.
Die Stadtwerke würden bisher noch nicht genug in die Pflicht genommen. Für Gewerbekunden wird immer noch Kohlestrom angeboten. Auch stellen die Stadtwerke E-Autos für Privatleute zur Verfügung, was nicht ihre Aufgabe sei.
Um 16 Uhr ging es mal wieder per Rad auf den Anlagenring, an einem Parkhaus nach dem anderen vorbei. In der Nordstadt soll nach Vorstellung der Initiativen ebenfalls eine Regiotram-Anbindung vorgesehen. Die Demo erkundete einen Teil der vorgesehenen Route, bevor die Route über Marburger und Walltorstraße zum Marktplatz und zurück zum Berliner Platz führte.
Damit alle mit der Regiotram fahren können, fordern die Verkehrswende-Initiativen ÖPNV zum Nulltarif nach dem Vorbild von z. B. Estland und Luxemburg.
Kaum zu glauben, dass Seltersweg, Plockstraße und Kirchenplatz nicht immer autofrei waren. Auch damals wurden Geschäftseinbußen befürchtet, und es mussten Widerstände überwunden werden. Die Erfahrungen aus anderen vergleichbaren Städten zeigen, dass Kunden, die zu Fuß oder per Rad kommen, mehr ausgeben als AutofahrerInnen.
Wieder zurück am Ludwigsplatz klang das Straßenfest in den frühen Abendstunden aus. Die VeranstalterInnen hatten bewiesen, dass auch eine solch große Veranstaltung nach den derzeit geltenden Corona-Abstands- und Hygieneregeln durchgeführt werden kann. Sie hatten immer wieder auf die Einhaltung der Corona-Auflagen hingewiesen (mindestens 1,50 Meter Abstand und Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung im gesamten Straßenfest-Bereich und bei der Fahrrad-Demo; Essen/Trinken/Rauchen nur außerhalb der Veranstaltung). Die anwesende Polizei hielt sich im Hintergrund.
Umfangreiche Kontrollen, insbesondere der Maskenpflicht, fanden durch die Versammlungsbehörde statt. Dass jedoch nicht bei jeder Veranstaltung so genau hingeschaut wurde, zeigte ein Blick auf eine zeitgleich in und vor der Kongresshalle stattfindende Schulabschlussfeier.
Die Klimaaktionstage enden am morgigen Sonntag, den 21. Juni 2020 ab 11 Uhr mit einem Gottesdienst, einem Auftritt von Fredrik Vahle, verschiedenen Redebeiträgen der People/Parents for Future, einem Kinderkleidertauschmarkt sowie Spiel und Spaß unter dem Motto "Prima Klima für alle!" auf dem Kirchenplatz.
Links zu den Initiativen:
Umsetzung der Klimaziele für Gießen:
http://2035null.de/
Verkehrswende-Projekt Gießen und Umgebung:
http://www.projektwerkstatt.de/index.php?domain_id=33&a=14814
Fridays for Future Gießen:
http://fffgiessen.de/
Lastenradprojekt Gießen:
http://dasallrad.org/
Info zur Waldbesetzung Dannenröder Forst:
http://waldstattasphalt.blackblogs.org/
hier geht's zu Teil 2:
http://www.giessener-zeitung.de/buseck/beitrag/133988/klima-aktionstage-vom-19-21-juni-2020-teil-2/